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Schuld kannst du nicht wollen, sie sucht dich auf

Mal wirklich was ganz anderes als im ZDF: Karl-Heinz Ott beschreibt in langen Sätzen ein Verbrechen in einem südbadischen Höllental – der Roman „Ob wir wollen oder nicht“

Eine Schwarzwaldgemeinde, ein Mann Anfang fünfzig, ein mysteriöses Gewaltdelikt. Oberhalb des Dorfes gibt es eine neue Brücke, über die der Verkehr jetzt rollt, während die kleinen Geschäfte unter im Dorf darben. Da musst du durch, wenn du als Protagonist eines Romans die Tankstelle gepachtet hast und dann auch noch in eine Gewalttat verwickelt wirst, von der du am Ende das Romans nicht mehr weißt als der Leser, außer natürlich dass du Richard heißt und dir in den Siebzigerjahren diese K-Gruppen-Hybris geleistet hast, bevor du irgendwann doch lieber den privaten Weltverbesserer spieltest und akzeptiertest, dass dir die Welt abhanden kam, oben im Schwarzwald und in dieser laschen Beziehung mit der Wirtin des „Löwen“, bis irgendwann ein des Kindesmissbrauchs bezichtigter Pfarrer auftauchte, mit dem du im Mondschein philosophiertest, nicht wissend, dass auch der Pfarrer gelegentlich das Bett deiner Wirtin aufsuchte.

Eigentlich hätte das alles bis in alle Ewigkeit so weitergehen können, wäre vor kurzem nicht die Frau aufgetaucht, die den Pfarrer der Kinderschändung bezichtigt hatte und die nun schwer misshandelt im Keller des „Löwen“ gefunden worden war. Dumm, dass die misshandelte Frau behauptet, als Mann hinter der Faust dich erkannt zu haben, dabei muss der Schläger doch der Pfarrer gewesen sein, der jetzt mit deiner Wirtin auf der Flucht und dafür verantwortlich ist, dass du in U-Haft sitzt und dieses hypotaktische Parlando erträgst, das sich wie ein zerebrales Fegefeuer in deinem Hirn ausbreitet, was nicht zuletzt wohl damit zu tun hat, dass du auf dem Weg in die U-Haft hinten im Polizeiwagen durch dieses Höllental fahren musstest, das sich in Wirklichkeit nahe Freiburg in den Schwarzwald windet, im Roman aber am Übergang des Schwarzwalds hin zur Schwäbischen Alb und also in einiger Entfernung zu Freiburg liegt.

Aber so ist das nun mal im Reich der Fiktion und Karl-Heinz Otts drittem Roman „Ob wir wollen oder nicht“. Da ist alles anders als im ZDF, wo bei so einem melancholischen, auf seine herbe Art aber sicherlich immer noch attraktiven Richard sehr schnell die verschollene Jugendliebe vorbeikäme, auf dass die beiden sich in einem Chevi-ähnlichen Opel der Siebzigerjahre in Richtung Roadmovie aus dem Staub machen könnten. Da Freiburg aber nicht Mainz und Karl-Heinz Ott kein Drehbuchautor ist, führt der Roman direkt ins Land der Denker und Grübler und einen Innenraum melancholischer Schuld, in dem an jeder Ecke Josef K. aus Kafkas „Process“ auftauchen könnte, der ja auch einem aus seiner Sicht offensichtlichen Justizirrtums keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzt. Eigentlich, so der Eindruck, hat Karl-Heinz Otts Tankstellenpächter nur darauf gewartet, im Knast endlich ungestört grübeln und seinem Autor jene lang anhaltenden Satzreihen schenken zu können, die so lakonisch plätschern, dass der Leser immer mal wieder meutern will.

Dann allerdings versteht er sofort, dass Karl-Heinz Ott seine nur ganz selten, durch kurze Dialoge unterbrochenen parataktischen Reihungen auf keinen Fall in Richtung einer auf Dramatik zielenden Syntax hätte verlassen dürfen. Ansonsten wäre ihm der Roman ja abgestürzt und hätte er nicht diesen langsamen Sprachstrudel erzeugen können, hinter dem sich ein raffiniertes Geflecht aus Andeutungen und letztlich doch eine uralte Menschheitsgeschichte versteckt. Schuld, wird Richard eines Tages wohl an seine Zellenwand kritzeln, Schuld kannst du nicht wollen, sie sucht dich auf, so wie die mysteriöse Frau im Roman zuerst den Pfarrer und dann den Tankstellenpächter mit ihren Anschuldigungen aufsuchte, als sei sie eine Norne der Erbsünde. Bliebe nur noch die Frage, ob der im Südbadischen lebende Schwabe Karl-Heinz Ott, siedelte er selbst oben am Übergang vom Schwarzwald hin zur Schwäbischen Alb, eher dem pietistischen Fegefeuer des strengen Broterwerbs oder dem katholischen Höllental der Beichte huldigen würde, auch wenn da kein Auto mehr an der Tankstelle vorbeikäme und der Pfarrer schon längst mit der schönen Wirtin über alle Berge wäre. JÜRGEN BERGER

Karl-Heinz Ott: „Ob wir wollen oder nicht“. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008, 208 Seiten, 19,95 Euro

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