Lehrer des stockenden Denkens

Die rote Kaderschmiede, die der Bremer Uni-Professor Johannes Beck mit gegründet hat, gibt es nicht mehr. Und mit der Verabschiedung des „Lehrerlehrers“ geht noch einer von denen, die mehr wollten als Humankapital heranziehen

Selbstorganisation war das Wort, das manche fertig machte und vielen Spaß

von Burkhard Straßmann

Verehrung. Was für ein Anachronismus! Am vergangenen Samstag wurde an der Uni mit einer schönen und anrührenden Feier ein Hochschullehrer verabschiedet, und alles, was man einem sonst so mitgibt in den Ruhestand (Schulterklopfen, Wirdschon, vor allem Gesundheit, goldene Uhr), fehlte. Stattdessen fand man bei Freunden, Schülern und Kollegen, was es fast nicht mehr gibt: Verehrung.

Johannes Beck, Jahrgang 38, Lehrerlehrer. 33 Jahre Uni Bremen. Mitbegründer. Kaderschmied mit großem Schnäuzer, lang, dünn, Locken, große Nase, große Ohren. Nur die Augen in viel Haut versteckt. Vor 25 Jahren wurde die AUCOOP, die Bremer Ausbildungscooperative, gegründet. Beck war Gründungsmitglied, und im ersten Protokoll („Vorstellungen zur Organisation und Arbeit“) steht, wie jeder dem Volke dienen wollte. Johannes Beck brachte diese „formale Berufsqualifikation“ mit: Facharbeiterbrief, Bau- und Möbeltischler, Sanitäter, Kfz-Führerschein, 1. und 2. Lehrerprüfung und „Uniarbeit“. Und unter „Was kann ich tun“ lesen wir: „div. handwerkliche Arbeiten, hab mal (mit anderen) nen Lehrbetrieb aufgebaut; mit Bürokraten verhandeln (schrecklich); Gitarre spielen; kochen.“

Wie er sich hier charakterisiert, so ist er bis heute; bescheiden unbescheiden. Meriten: wurscht. Aber alles machen dürfen. Kopfarbeiten, handarbeiten, reden, feiern. Das ganze Spektrum. So sollten seine Studenten übrigens auch studieren. Uferlose Bildung. Hauptsache Dampf dahinter. Interesse. Nicht nur zur Not verließ man gern die Hochschule und zog mit Bussen in irgendwelchen Ausländern herum („Reisende Hochschule“ ). Überhaupt galt ein erweiterter Begriff von Hochschule, lernen tat man draußen und in Initiativen am besten („Freinet-Pädagogik-Initiative“, AUCOOP, „Pädagigisches Atelier“, Sommeruni am Lago Maggiore und heute „Theater der Versammlung“). „Bildung ist, einen Reifen zu wechseln.“ (A.v.Humboldt, Zitat ungesichert).

Generationen von (Lehramts-) Studenten hat er in einer Art stockendem Denken gelehrt. Nix ist wie es ist, nix Genaues weiß man schon gar nicht, den Verhältnissen ist ebenso wenig zu trauen wie der Sprache, aber alles ist Material. Für einen überraschenden Gedanken. Für ein ungewöhnliches Projekt. Wie es geht, sagte einem niemand, schon gar nicht Beck. Selbstorganisation war das Wort, das manche fertig machte und vielen Spaß. Seine wissenschaftlichen Meriten (Bremer Lehrerbildung, Enttarnung des „heimlichen Lehrplans“, Rowohlt-Reihen wie „Politische Erziehung“ oder „Jahrbuch für Lehrer“, neuhumanistische Querschlägereien, reformpädagogische Dickköpfigkeit) sollen andere preisen. Ich preise seine damals not-wendige Fähigkeit, die Antiautoritären, die Spontis und die undogmatischen Linken zu erden und ihnen Mut zu machen, an sich selbst zu glauben.

Heute geht es an der Uni um Bildungsmanagement, Modularisierung und Zackzackstudium. Nix für Beck. Es ist kein Geheimnis, dass sich einige freuen, den Querkopf los zu sein. „Wurscht,“ sagt Beck. „Wäre ja fürchterlich, wenn mich hier keiner loswerden wollte. Dann hätte ich ja was falsch gemacht.“