„Der Trend geht zur Arbeitszeitverkürzung“

Der DIW-Arbeitsmarktexperte Karl Brenke rechnet nicht damit, dass die 40-Stunden-Woche in Berlin Schule machen könnte. Auch dass zahlreiche Firmen in Richtung Polen abwandern, hält er für unwahrscheinlich

taz: Herr Brenke, zwei Siemens-Fabriken haben die 40-Stunden-Woche wieder eingeführt. Müssen auch die Berliner bald mehr arbeiten?

Karl Brenke: Im Großen und Ganzen rechne ich nicht damit. Der Trend war hier eher: Arbeitszeitverkürzung plus Lohnkürzung wie im öffentlichen Dienst. Außerdem traf die 35-Stunden-Begrenzung, von der die Siemens-Vereinbarung abweicht, nur die Beschäftigten im Bereich Metall, Elektro und Druck. Das sind die wenigsten der Berufstätigen in Berlin. Und Siemens ist ein sehr spezieller Fall: Die Arbeitszeitverlängerung gilt noch nicht mal für alle Betriebsstätten, sondern nur für die Handyproduktion. In Siemens-Betrieben hier in Berlin sind solche Vorschläge nicht in der Diskussion.

In den Verhandlungen zwischen der IG Metall und Siemens fiel die unverhohlene Drohung „Arbeitsplatzverlagerung nach Ungarn“. Könnte das auch in Berlin ein Druckmittel sein, die Abeitszeit zu verlängern – gerade angesichts der Nähe zu Polen?

Natürlich kann es sein, dass manche Unternehmen jetzt im Anschluss an die Siemens-Vereinbarung versuchen, mitzusegeln und ihren Arbeitnehmern ähnliche Argumente zu präsentieren – gerade angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Berlin.

Wie glaubwürdig sind solche Drohungen?

In vielen Fällen sind sie es nicht: Es wäre ökonomisch nicht gerechtfertigt. Zwar sind die Löhne in Polen und Tschechien tatsächlich geringer als bei uns. Es kommt aber nicht nur auf die Löhne an, sondern auch auf Produktivität und Infrastruktur. Da muss man feststellen, dass Deutschland oft besser dasteht: Beispielsweise exportieren wir trotz höherer Löhne auch in Länder wie Polen und Tschechien.

Spielt die EU-Osterweiterung überhaupt eine Rolle?

Es gibt auch nach der Osterweiterung keinen Anlass, zu glauben, Unternehmen könnten flächendeckend aus Berlin in die neuen Mitgliedsstaaten gehen. Auch im Fall Siemens geht es nicht im Besonderen um Osteuropa: Der Handyhersteller konkurriert mit Unternehmen weltweit.

Würden längere Arbeitszeiten denn helfen gegen die hohe Arbeitslosigkeit in Berlin?

Es spricht wenig dafür: Arbeitszeitverlängerung und niedrigere Löhne helfen exportorientieren Unternehmen: Wenn die billiger produzieren können, steigt ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit, weil sie billiger anbieten können. Das aber ist nicht das Problem unserer Konjunktur: Deutschland ist Exportweltmeister.

Was dann ist das Problem?

Die Privathaushalte kaufen zu wenig: Im Vergleich zu anderen Exportländern sind die Löhne in Deutschland nur moderat gestiegen. Verlängerung der Arbeitszeit – also Senkung des Lohns – kann uns natürlich international noch wettbewerbsfähiger machen. An unserem Problem, der schwachen Nachfrage im Inland, ändert es nichts. Es wird eher größer. INTERVIEW: FLORIAN HÖHNE