Gedränge im Wildbad Berlin

Statt in den Urlaub fahren immer mehr an nahe Gewässer. Freibäder sind voll, noch voller sind die Seeufer. Viel Arbeit für die DLRG. Auch weil jeder dritte Erst- und Zweitklässler nicht schwimmen kann

von HANNES HEINE
und JAN ROSENKRANZ

„Düdeldüt“ macht das Funkgerät, dann rauscht es. Adler 2 fliegt über die Scharfe Lanke hinein in die Untere Havel. Eine knarzige Stimme meldet sich zu Wort: „Schwimmer in der Reuse.“ Knarz. „Die Kollegen kümmern sich, das ist weiter südlich“, sagt Michael Neiße vom Berliner Landesverband der DLRG. „DLRG“ heißt Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft. Und heißer Sommer heißt für die ehrenamtlichen Rettungsschwimmer viel Arbeit. Besonders wenn das Wetteramt für den frühen Abend vor Unwettern warnt wie heute, am Sonntag.

An jedem Wochenende von Mai bis September unterstützen die DLRG-Rettungsschwimmer Wasserschutzpolizei und Feuerwehr, schieben Wache auf einer der 37 DLRG-Stationen in ganz Berlin oder patrouillieren per Boot auf den Badegewässern. Über 1.000 Einsätze haben sie allein in diesem Jahr schon absolviert – von der Schnittwunde bis zur Rettung Ertrinkender. „Wir helfen aber auch schon mal, wenn die Brille über Bord gegangen ist“, sagt Lebensretter Neiße.

Hitze und kein Geld im Portmonee – Berlin geht baden. Schließlich fahren 39 Prozent der Berliner laut einer Umfrage in diesem Jahr nicht in Urlaub. Bleibt nur die Frage: Ins Freibad oder an den See?

Michael Neiße hat festgestellt, dass der Betrieb an und auf den Seen enorm zugenommen hat. Es gebe immer mehr „wilde Badestellen“ und immer mehr „Wildbader“. „Die Leute strömen in Massen an den See, dadurch hat sich auch die Zahl unsere Rettungseinsätze stark erhöht.“ Und das liege nicht nur am Wetter. Bäder wurden geschlossen, andere haben den Eintritt saftig erhöht.

Freibadbetreiber vermelden dennoch Erfolge. „Wenn es so bleibt, kann das Jahr 2003 einen neuen Besucherrekord bringen“, sagt der Geschäftsführer der Berliner Bäderbetriebe (BBB), Klaus Lipinsky. Im Juni 2002 besuchten 765.000 Menschen die Bäder der BBB, im Juni dieses Jahres waren es 963.000, was sicher auch am guten Wetter lag. Die Kosten liegen aber trotz allem weit über den Einnahmen.

Im Freibad Halensee (BBB) sagt man, alles laufe wie in der letzten Saison. An Samstagen sei man mit bis zu 400 Gästen voll. Die Kollegen vom Freibad Müggelsee bestätigen eilig: Seit der Preiserhöhung habe sich die Besucheranzahl nicht verringert, 4 Euro Eintritt schreckten also keinen ab.

Auch das Strandbad Grünau meldet volles Haus. Der Bezirk hat es vor Saisonbeginn wieder übernommen, nachdem es Proteste gegeben hatte, weil die Bäderbetriebe es schließen wollten. Der Eintritt kostet jetzt sogar nur noch 3 Euro. Für den leitenden Schwimmmeister Gerhard Wieländer steht fest: „Familien zahlen eben anstatt ’ner Schachtel Kippen gerne mal 3 Euro – für einen ganzen Tag hier.“

Die DLRG hat da etwas anderes festgestellt. Adler 2 schaukelt über die breite Untere Havel. Eine ältere Dame im Badeanzug rauscht auf Wasserskiern vorbei, Segler lehnen sich über Bord. Und am Grunewald-Ufer wird geplantscht. „Wo kein Baum steht, wird gebadet. Das zieht sich runter bis zum Wannsee“, sagt Neiße.

Das Problem: Diese Stellen sind nicht durch schwimmende Tonnen gekennzeichnet, die den Kontakt von Badegast und Schiffsschraube verhindern sollen. Doch diese Kennzeichnung ist nicht mehr Aufgabe des Senats, sondern der Bezirksämter. Praktisch heißt das, dass noch nicht einmal alle offiziellen Badestellen in diesem Jahr mit den Bojen versehen worden sind. „Da sollte man auch als Badegast noch mehr aufpassen“, warnt Neiße.

Auch am anderen Ufer entdeckten die Leute immer wieder neue Stellen – die von der DLRG kaum eingesehen werden können. „Da drüben, die ist auch neu“, sagt Neiße, „zu unserem Erschrecken gehen da vor allem Kinder baden.“

Erschreckend vor allem, weil „rund 17.000 Schüler der Klassen 1 und 2 nicht schwimmen können, jeder Dritte also“, hat der Präsident des Landessportbundes, Peter Hanisch, beklagt. Generell gebe es unter Berliner Schulkindern einen Mangel an Körperberrschung. Kein Wunder, denn längst nicht alle Kinder bekommen Schwimmunterricht. Und für die verbliebenen Schwimmkurse gibt es teilweise schon Wartezeiten von bis zu zwei Jahren.

Die gleiche Situation herrscht in Brandenburg. DLRG-Landesvizepräsident Michael Sprichardt sieht mit Sorge, dass das Wetter auch immer mehr Nichtschwimmer an die Badestellen treibt. Generell sei auch an Brandenburger Seen wesentlich mehr los als in den vorangegangenen Jahren. Das liege vor allem an den hohen Eintrittspreisen für Freibäder – jedenfalls höre er das von den Badegästen. „Gehen Sie doch mal mit der Familie ins Freibad, da sind sie schon 20 Euro los und waren noch gar nicht im Wasser“, sagt Sprichardt.