Mehrheit in Serbien stimmt für Europa

Der Reformpolitiker Boris Tadić überrundet bei den Präsidentschaftswahlen seinen ultranationalistischen Konkurrenten. Der Wahlsieger kündigt eine Annäherung an die EU und die Nato an. Doch weitere Wahlen im Herbst stehen bevor

AUS BELGRAD ANDREJ IVANJI

Der Reformpolitiker Boris Tadić wird neuer serbischer Präsident. Mit einem Vorsprung von 8,7 Prozent ging er als Sieger aus den Wahl am Sonntag hervor. Der mit 45,9 Prozent unterlegene Ultranationalist Tomislav Nikolić sagte in einer ersten Reaktion, der Kampf um Serbien sei noch längst nicht entschieden.

In der Zentale der Demokratischen Partei Serbiens (DS), deren Vorsitzender Tadić ist, klirrten in der Nacht auf Montag die Gläser. „Das ist nicht mein Sieg. Es ist ein Triumph der Idee eines weltoffenen, europäischen Serbien. Es ist euer Sieg“, sagte der sichtlich erschöpfte Tadić in seiner ersten Ansprache als Präsident vor laufenden Kameras.

Innenpolitische Stabilität und außenpolitische Integration soll die Devise seiner Präsidentschaft in den nächsten fünf Jahren sein. Obwohl die DS in der Opposition sei, sicherte Tadić der Minderheitsregierung in Belgrad seine Unterstützung zu. Nur „gemeinsam“ könne man die enormen wirtschaftlichen und politischen Probleme überwinden. Er werde sich für die regionale und europäische Integration Serbiens einsetzen und die Mitgliedschaft in der Nato anstreben.

Bis in die frühen Morgenstunden feierten Tadić’ Anhänger auf den Straßen Serbiens den „Sieg der Zukunft gegenüber der Vergangenheit“. Ein Sieg von Nikolić hätte für Serbien eine internationale Isolation zur Folge gehabt.

Noch Anfang des Jahres schien die DS, die nach dem Attentat auf Parteichef und Premierminister Zoran Djindjić im März vorigen Jahres von Korruptionsaffären erschüttert war, am Ende zu sein. Der Outsider und „Saubermann“ Tadić drängte sich als Parteivorsitzender auf und marginalisierte die Frontmänner der DS aus der Zeit des Kampfes gegen das Milošević-Regime. Verhandlungen statt Konfrontation, Versöhnung statt Streit lautete während der Wahlkampagne das neue Motto der DS unter Tadić’ Führung. Und er schaffte auf diese Weise das Unmögliche: die Stimmen des verzankten proeuropäischen Lagers zu vereinen und die apathischen serbischen Wähler zu motivieren, an die Urnen zu gehen.

Tadić habe ihn mit den Stimmen der „nationalen Minderheiten“ geschlagen, erklärte der Radikalenführer Nikolić gehässig. Der Kampf für Serbien habe jedoch erst begonnen, denn bis Jahresende stünden Kommunalwahlen, Landeswahlen in der Vojvodina und vorgezogene Parlamentswahlen an. Die Serbische Radikale Partei (SRS) sei die mit Abstand stärkste Partei in Serbien. Mit der Unterstützung „aller anderen Parteien und aller Medien“ habe Tadić nur 280.000 Stimmen mehr bekommen.

Mit den Wahlen vom Sonntag hat Serbien nach anderthalb Jahren wieder einen Präsidenten. Zuvor waren drei Wahlen am mangelnden Interesse der Bürger gescheitert. Daraufhin hatte das Parlament eine Klausel gestrichen, nach der eine Wahl nur bei einer Beteiligung von mehr als der Hälfte der Wahlberechtigten gültig ist.

Obwohl das Amt des serbischen Präsidenten überwiegend protokollarisch ist, sorgt der Sieg Tadić’ nach langer Zeit wieder für Aufbruchsstimmung im demokratischen, proeuropäischen Lager. Die wirtschaftliche und soziale Misere, die ungeregelten Verhältnisse der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro sowie der ungelöste Status des Kosovo lassen jedoch keine Zeit für Feiern. Und die schwache serbische, von Milošević-Sozialisten unterstützte Minderheitsregierung hat nach dem Debakel ihres Präsidentschaftskandidaten bereits vorgezogene Parlamentswahlen angekündigt.

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