Trügerisches Tauschgeschäft

Mit der Machtübergabe im Irak erhofft sich die US-Regierung, mehr Demokratie gegen mehr Sicherheit einhandeln zu können. Experten befürchten Bürgerkrieg

WASHINGTON taz ■ Die Nachricht über die vorgezogene geheime Machtübergabe im Irak löste in den USA Erstaunen aus. Zwar bezeichneten die US-Medien den Transfer als einen historischen Schritt. Die verborgen abgehaltene Zeremonie mache aber auch deutlich, dass es zunächst wenig um Demokratie gehe, sondern vielmehr um Sicherheit.

Experten und Kommentatoren sind sich zudem einig, dass sich in naher Zukunft an der prekären Lage nicht viel ändern wird. Die irakischen Streitkräfte werden nicht über Nacht effizienter arbeiten. Terroristen und Untergrundkämpfer werden nicht plötzlich ihre Angriffe stoppen. Es wird im Gegenteil mehr Gewalt erwartet, weil islamistische oder saddamtreue Gruppen versuchen werden, die neue Regierung zu diskreditieren. Gestern drohten Aufständische in Irak mit der Enthauptung von zwei Geiseln. Einer der Entführten ist ein Pakistaner, der für ein US-Unternehmen arbeitet. Der andere ist US-Marineinfanterist. Militärfachleute glauben, die Mission der US-Streitkräfte werde von nun an weitaus komplizierter sein. Denn die an ihre Kapazitätsgrenze gestoßene US-Armee muss irakische Soldaten ausbilden, zugleich für Sicherheit sorgen und dabei möglichst im Hintergrund bleiben. Und niemand gibt sich noch der Illusion hin, dass die von der Nato angekündigte Unterstützung die Amerikaner spürbar entlastet. Regierungsvertreter wie Pentagon-Vize Paul Wolfowitz warnten in den vergangenen Tagen die US-Bevölkerung vor unrealistischen Erwartungen und schworen sie wiederholt auf eine längere Besatzungszeit ein. Auch die Opposition hält nicht viel von Rückzugsplänen. „Erfolg ist ein sicherer und friedlicher Irak. Wir können nicht vorher kneifen“, sagte Samuel Berger, Bill Clintons Exsicherheitsberater, der nun John Kerry zur Seite steht.

So dominieren insgesamt Warnungen und Skepsis. Zu oft erlebten die Amerikaner vorschnelle Euphorie – nach Bushs hastiger Ankündigung „Mission erfüllt“ oder der Annahme, mit der Gefangennahme Saddam Husseins würde sich das Blatt im Irak wenden – und wurden enttäuscht. Dennoch gibt es die zarte Hoffnung, dass die formelle Machtübergabe den US-Truppen den Stempel der Besatzungsmacht nimmt. Andererseits machen das politische Establishment in Washington und seine Experten im Gegensatz zur Rhetorik der Bush-Regierung keinen Hehl daraus, dass es sich gestern in Bagdad allenfalls um eine begrenzte Machtübergabe handelte. Zwar wurde US-Statthalter Paul Bremer in Urlaub geschickt, doch die USA werden das Schicksal des Irak weiter entscheidend mitbestimmen. Überdies wissen sie, dass viele Iraker das Interimskabinett als Marionette der USA betrachten. „Dies ist eine Regierung, die von außen installiert wurde. Sie tritt ihr Amt mit einer fragwürdigen Legitimation an“, sagt Andrew Bacevich von der Boston University. Deshalb schätzt Hurst Hannum von der Tufts University die Gefahren für einen Bürgerkrieg nach wie vor sehr hoch ein: „Ich wünschte, ich könnte optimistisch sein.“ MICHAEL STRECK