Historische Belastungsproben

Verschlafen und bedeutungslos wirkt heute die General-Pape-Straße. Wäre da nicht ein merkwürdiger Klotz Beton. Ein Geschichtsparcours gibt jetzt Aufschluss über Kasernen und Pläne für die „Welthauptstadt Germania“ im einstigen Militärbezirk

Der Weg zu den Überresten des Nationalsozialismus ist kaum zu finden

VON ROBERT SCHRÖPFER

Dass sich Geschichte an authentischen Schauplätzen auch abseits der touristischen Attraktionen vermitteln lässt, dafür gibt es in Berlin viele Beispiele. Der Mauerweg etwa führt nicht nur an Potsdamer Platz, Checkpoint Charlie und Bernauer Straße entlang, sondern auch an den sichtbaren Spuren der früheren Grenzanlagen in der Umgebung Berlins. Im Bayerischen Viertel im Süden der Stadt erinnern Straßenschilder an Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bewohner im Nationalsozialismus.

Ebenfalls im Bezirk Tempelhof-Schöneberg gibt es nun einen „Geschichtsparcours Papestraße“, der mit Text- und Bildtafeln durch das Areal zwischen Bahnhof Südkreuz und Kolonnenbrücke führt. Im Rahmen des Programms Stadtumbau West soll er helfen, das frühere Militärgelände zu einer – wie die Planer formulieren – „Gewerbe- und Kulturkaserne“ aufzuwerten.

S-Bahn-Geratter, Klinkerfassaden, Stacheldrahtverhaue und Knallerbsenbüsche: Die General-Pape-Straße heute ist eine Mischung aus Eisenbahn und Militärbauten, Kleingewerbe, Garagen und Laubenpieperkolonie, die man allein nur ungern im Dunkeln betreten möchte. Bis ins 19. Jahrhundert befand sich hier das „Große Feld“, eine Ackerflur zwischen den Dörfern Schöneberg und Tempelhof vor den Toren Berlins, bevor das preußische Militär das Areal 1828 erwarb und eine Pferderennbahn errichtet wurde. Mit der Berlin-Anhalter Eisenbahnlinie 1841 folgten auch die ersten Kasernen des Eisenbahnregiments, dessen Pioniere auf der anderen Seite der Trasse einen Übungsplatz zum Bau von Behelfsbrücken und für Tunnelsprengungen unterhielten.

Es entstand ein Militärkomplex, wie er für die Zeit typisch war: Offizierskasino, Mannschaftsunterkünfte, Exerzierhalle. In den noch erhaltenen und heute unter Denkmalschutz stehenden Dienstgebäuden von Bezirkskommandos und Landwehrinspektion fanden Musterungen statt. Fotografien auf den Bildtafeln des Parcours zeigen Reservisten, die mit ihrem Handgepäck 1914 zur Mobilmachung des Ersten Weltkriegs einrücken. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 befand sich am heutigen Werner-Voß-Damm 54a eines der berüchtigten Interims-Gefängnisse, in das die SA in den ersten Wochen des Terrors 2.000 Regimegegner, Kommunisten und Sozialdemokraten, aber auch jüdische Geschäftsleute, Anwälte und Ärzte verschleppte. Es soll zu einem Gedenkort umgestaltet werden.

Gleichzeitig aber ist der Kasernenbezirk auch ein Beispiel früher Konversion: Noch während der Hungerjahre im Ersten Weltkrieg wurden den Bediensteten der Militärverwaltung Freiflächen für den Gemüseanbau überlassen, aus dem später die Kleingärten hervorgegangen sind. Nach dem Verbot der Wehrpflicht im Versailler Vertrag übergab man in den 1920er-Jahren auch die Kasernen der zivilen Nutzung. Krankenblatt-Archiv, Versorgungsamt und Gewerbe zogen ein, darunter die Deutschen Orthopädischen Werke, die in den Ex-Militärbauten bis ins Jahr 2000 Rollstühle, Oberarm- und Beinprothesen auch für Kriegsversehrte herstellten.

Das historische Foto einer auf dem Exerzierplatz angetretenen Kompanie vor heutigen Schrebergärten, ein Gruppenbild von Soldaten bei der Belastungsprobe für eine Eisenbrücke an der jetzigen Fernbahntrasse: Die Abbildungen und Standorte der 14 Informationstafeln des Parcours sind klug gewählt. Oft überraschend stellen sie Vergangenheit und Gegenwart nebeneinander. Mit ihren Alu-Masten und bizarren Leitsymbolen aber sind sie ebenso unschön wie unzweckmäßig geraten. Die Tafeln ragen wie Verkehrsschilder in die Höhe – wohl um Beschmierungen zu verhindern. Auch auf eine Durchnummerierung und Wegweiser wurde verzichtet.

Das führt dazu, dass man ohne die Lagepläne und das Begleitheft, die im Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg und als Internet-Download kostenlos erhältlich sind, im unübersichtlichen Gelände kaum den Weg des 2,5 Kilometer langen Rundgangs finden wird, etwa zu einer ehemaligen Lagerhalle für die Senatsreserven West-Berlins, zu Hinweistafeln auf Flüchtlings- und Lazarettbaracken oder zu den Überresten der NS-„Welthauptstadt Germania“.

Denn der Parcours bietet auch den Grusel nationalsozialistischer Überwältigungsarchitektur. Wo sich die umzäunte „Rosenpromenade“ der Laubenkolonie Papestraße befindet, sahen die Entwürfe von NS-Chefplaner Albert Speer einen Triumphbogen von 117 Meter Höhe und 170 Meter Breite vor, der den Auftakt für eine „Prachtstraße“ zu einer 180.000 Menschen Platz bietenden sogenannten Großen Halle im Spreebogen bilden sollte. Nahe der Kolonnenbrücke hat sich mit einem „Schwerbelastungskörper“ ein Relikt des städtebaulichen Größenwahns erhalten. Der 12.000 Tonnen schwere, auch von französischen Zwangsarbeitern errichtete Betonzylinder, der die Belastbarkeit des sandigen Bodens prüfen sollte, wird zurzeit als Informationsort hergerichtet.

Kostenloser Lageplan unter www.stadtumbau-berlin.de/Texte