„Reform nicht existenzsichernd“

Barbara Steffens, arbeits- und sozialpolitische Sprecherin der Grünen, über Härten und Chancen der Hartz-Arbeitsmarktreformen, den Widerstand der Grünen und die informelle große Koalition

INTERVIEW: ANDREAS WYPUTTA

taz: Frau Steffens, wenn kein politisches Wunder geschieht, treten die Hartz-Gesetze im Januar in Kraft. Für Arbeitslose bedeutet das massive Kürzungen. Ist Rot-Grün eigentlich noch sozial?

Barbara Steffens: Für den Erfolg der Reformen muss der Förderaspekt gestärkt, die Hilfen für die Menschen ausgebaut werden – etwa durch eine verbesserte Betreuung und Vermittlung. Wenn Hartz nur auf Kürzungen hinausläuft, ist die Reform nicht sozial.

Derzeit stehen aber die Härten im Vordergrund: Die Arbeitslosenhilfe wird auf Sozialhilfeniveau gekürzt, die Menschen müssen ihre Altersvorsorge aufbrauchen, müssen in billige Wohnungen umziehen...

Ja. Man darf den Menschen nichts vormachen: Viele stehen vor finanziell substanziellen Verschlechterungen. Aber Hartz muss auch mehr Chancen bringen. An erster Stelle soll natürlich ein erleichterter Einstieg in den Arbeitsmarkt durch bessere Beratung und Qualifizierung stehen.

Und wohin soll vermittelt werden? Drücken die Hartz-Gesetze gerade Langzeitarbeitslose nicht nur in einen Niedriglohnsektor, von dem niemand leben kann, der aber das gesamte Lohnniveau gewaltig unter Druck setzt?

Gerade im Dienstleistungssektor gibt es doch Potenziale, die durchaus existenzsichernd sein können, etwa in Bereichen, die Pflege ergänzen. Das Problem muss auf kommunaler Ebene gelöst werden: Die Verantwortlichen vor Ort – also die Städte und Gemeinden und die Arbeitsagenturen – dürfen nicht nur auf Kombilohnmodelle setzen. Wünschenswert wären lokale Wirtschaftsanalysen, die klären, wo Leute gebraucht oder ausgebildet werden können. Viel Arbeit gerade für die CDU, die jetzt beginnt, über mangelnde Förderung zu klagen, die Arbeitslosen in den Kommunen aber in den Niedriglohnsektor drängen will.

Und die Grünen tragen das durch ihre Politik im Bund mit.

Nein. Wir sind doch genau diejenigen, die neue Perspektiven für die Arbeitssuchenden schaffen wollen. Eine CDU-geführte Regierung würde noch viel härter vorgehen.

Vorbereitet wurde Hartz im Bundestag aber bereits in der letzten Legislaturperiode ausgerechnet von dem damaligen finanzpolitischen Sprecher Oswald Metzger.

Die Finanzen standen vielleicht bei Metzger im Vordergrund. Fraktionslinie war diese Position nie. Hartz hat auch eine sozialpolitische Komponente: Wir wollten immer eine einheitliche existenzsichernde Grundsicherung, waren immer gegen die demütigenden Einzelfallprüfungen, denen sich Sozialhilfeempfänger bei größeren Anschaffungen unterwerfen mussten. Die Reformen dürfen einfach nicht nur als Sparmaßnahmen umgesetzt werden. Das wäre dann wirklich fatal.

Sind die vorgesehenen 345 Euro monatlich für Langzeitarbeitslose existenzsichernd?

Die Höhe des neuen Arbeitslosengelds II halte ich für willkürlich gesetzt. Elf Euro am Tag für alles, auch für Wasser, Strom, Telefon, Kleidung, Essen – das ist nicht existenzsichernd. Das Problem ist aber, dass es eine breite Zustimmung für diese geringen Sätze gibt. Wir müssen gesellschaftliche Mehrheiten erkämpfen, die das ändern wollen.

Klingt nach Wahlkampfrhetorik. Führende SPD-Politiker wie Ministerpräsident Peer Steinbrück warnen bereits, die Grünen seien für den Reformkurs mitverantwortlich.

In Bundestag und Bundesrat haben wir allein gegen die informelle große Koalition aus SPD und CDU für klare Zumutbarkeitsregelungen, für die Einführung eines Mindestlohns gestritten, und wir werden weiter für eine Anpassung der Regelsätze kämpfen. Dazu müssen wir aber das herrschende Klima ändern. Und das lautet derzeit leider: Geiz ist Geil, und Armut ist nicht schlimm.