Artisten räumen mit Berührungsängsten auf

Am Freitag endet „Pusteblume“, das „Theaterfestival von Menschen mit Behinderung“. Trotz gekonnter Artistik unter der Zirkuskuppel kommen so wenig Zuschauer wie lange nicht mehr. Das Projekt plant bessere Öffentlichkeitsarbeit

KÖLN taz ■ Mitleid erregen wollen die Akteure beim „Pusteblume“-Theaterfestival nicht, sie wollen ihre Leistungen bewertet wissen: bei Akrobatik, Gaukelei, Gesangs- und Musikeinlagen, bei selbst entwickelten Bühnenstücken und geheimnisvoll anmutendem Schwarzlichttheater.

Dass die meisten von ihnen behindert sind, soll für das Publikum keine Rolle spielen. Zum 17. Mal seit 1988 stellt in diesem Jahr – noch bis Freitag – das Non-Profit-„Theaterfestival von Menschen mit Behinderung“ im Zirkuszelt vor der Heilpädagogischen Fakultät Köln 90 Zirkus-, Theater-, Tanz- und Musikgruppen. Dazu organisiert „Pusteblume“ Lehrerfortbildungen und Schülerworkshops zur Entwicklung von Theaterkonzepten.

Das Gezeigte basiert auf oft monatelangen, intensiven Entwicklungs- und Trainingsprozessen. Die Behinderung ist Teil des kreativen Aktes und damit Inspiration zugleich. Sie verlangt Alternativen und fordert vom Zuschauer in besonderer Weise, seinen Blick zu ändern und das Geschehen fern des Mitleids zu betrachten und die Vielseitigkeit der Darbietungen individuell zu interpretieren. Die Akteure artikulieren sich pantomimisch, gestisch oder verbal, durchaus auch mal selbstironisch und räumen spielerisch mit Berührungsängsten auf.

Für Werner Reuter, den Leiter des Festivals, gestaltet sich der Kartenvorverkauf trotz aller Attraktivität und des Einsatzes zahlloser Freiwilliger „so schleppend wie noch nie“. Nur selten ist das 700 Zuschauer fassende Zelt ausverkauft. Als Begründung für die mangelnde Nachfrage führt Reuter unter anderem die allgemein angespannte Wirtschaftslage an. Wie jüngst die fortlaufende Debatte um Budgetkürzungen im Kulturbereich oder die Misere der Freien Theaterkultur in Köln gezeigt habe, sinkt die Bereitschaft, das knappe Geld in Kultur zu investieren – beim Konsumenten wie auch bei den Sponsoren. Entgegenwirken könnten hier letztlich nur breit angelegte und durchdachte Öffentlichkeitsarbeit und Aufmerksamkeit weckende Werbemaßnahmen.

Hier muss sich Pusteblume zweifelsfrei Versäumnisse eingestehen und darf keinesfalls den Fehler begehen, mit dem „Aushängeschild Behindertentheater“ Mitleid beim Publikum erregen zu wollen. Denn so widerspräche das Projekt seinen eigenen Grundsätzen. Wer mit dem Besuch einer der Vorstellungen sein schlechtes Gewissen beruhigen möchte, dem entgeht womöglich ein Bewusstsein erweiterndes und kulturell wie kreativ anspruchsvolles „Erlebnis der besonderen Art“. Offenheit und Neugier neuen Erfahrungen und Eindrücken gegenüber muss hier die Devise bleiben. „Wir planen für das kommende Jahr eine AG Öffentlichkeitsarbeit einzurichten“, verspricht Reuter. Erfolg wäre ihm zu gönnen.

Hartmut Ernst

„Sommertheater Pusteblume, Theaterzelt Frangenheimstraße, Köln-Lindenthal; Vorstellungen um 10 und 19 Uhr, Karten an der Abendkasse oder unter Tel. 0221/550 15 44