Nigeria will in Liberia eingreifen

Marschbefehl für 700 nigerianische Soldaten erteilt, die derzeit bei der UN-Mission in Sierra Leone dienen. Ziel: Einsetzung einer Interimsregierung nach Präsident Taylors Gang ins Exil. Der mögliche Interimspräsident heißt George Washington

aus Accra HAKEEM JIMO

Eine Vorhut von 700 Soldaten aus Nigeria hat grünes Licht zum Einmarsch in Liberia bekommen. Wie ein hochrangiges Mitglied der nigerianischen Delegation bei der Liberia-Friedenskonferenz in Ghanas Hauptstadt Accra der taz sagte, könnte die Truppe „in einem Tag da sein“. Geklärt werden muss demnach nur noch die Verpflegung, denn in Liberias umkämpfter Hauptstadt Monrovia gibt es zur Zeit weder Trinkwasser noch ausreichend Lebensmittel. „Die 700 nigerianischen Soldaten stehen bereit und haben den Marschbefehl erhalten. Jetzt muss die UNO sie aus Sierra Leone losschicken“, sagte der Nigerianer.

Für den Einsatz könnte der Flughafen Robertsfield benutzt werden, der rund 50 Kilometer von Monrovia entfernte internationale Flughafen Liberias. Er wird nicht von den Rebellen bedroht, die seit Tagen mit der Regierungarmee um die Kontrolle der Hauptstadt kämpfen. Am Sonntag und gestern versuchten die Rebellen erneut, wichtige Brücken einzunehmen, die in das Stadtzentrum führen. Sie lehnten eine Forderung der USA ab, sich zurückzuziehen und den Po-Fluss als Demarkationslinie zwischen Regierungs- und Rebellengebiet zu akzeptieren.

Die Finanzierung der nigerianischen Eingreiftruppe, in den letzten Tagen umstritten zwischen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) und Geberländern, wird offenbar nicht mehr als Hindernis für den Einsatz gesehen. Diese Frage wird wohl der Hauptpunkt bei Gesprächen zwischen Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo und dem britischen Premierminister Tony Blair sein, den Obasanjo seit gestern besucht. Mittlerweile scheint sich innerhalb der Ecowas die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Finanzierung notfalls auch im Verlauf der Militäroperation gesichert werden kann.

Die internationale Gemeinschaft und besonders die USA sind angesichts der täglichen Meldungen von Kriegsgräueln und Attacken auf die Zivilbevölkerung in Monrovia unter Handlungsdruck geraten. Auch für die Ecowas wäre es eine Bankrotterklärung, wenn jetzt nicht etwas passiere, sagte der nigerianische Unterhändler zur taz. „Wir können nicht bei jeder größeren Krise die ehemaligen Kolonialmächte um Hilfe anbetteln“, erklärte er und kündigte einen robusten Einsatz an: „Das wird eine friedenserzwingende, keine friedenssichernde Mission.“

Der Einsatz der Nigerianer dürfte in Liberia den Weg zu einem Friedensprozess freimachen, über den in Accra bei der Friedenskonferenz verhandelt wird. Liberias Präsident Charles Taylor bekräftigte am vergangenen Samstag bei einer Ansprache zum 156. Tag der Unabhängigkeit Liberias von den USA seinen Willen zum Gang ins nigerianische Exil. Die Bedingung: Vorher müssen Friedenstruppen in Liberia landen. Noch am Tag ihrer Ankunft würde er abreisen.

Taylors Nachfolge würde dann eine Interimsregierung antreten, deren Zusammensetzung nach dem Willen der Ecowas von der in Ghana tagenden Friedenskonferenz bestimmt werden soll. Die rund 100 Delegierten politischer Parteien, Jugend-, Frauen- und Religionsverbände, der liberianischen Diaspora und auch der beiden Rebellengruppen Lurd (Vereinigte Liberianer für Versöhnung und Demokratie) und Model (Bewegung für Demokratie in Liberia) sollen demnach in geheimer Abstimmung aus ihrem Kreis einen vorläufigen Präsidenten und Vizepräsidenten wählen.

Die Versammlung soll zudem ein Regelwerk erarbeiten, auf dessen Basis weitere Positionen wie Minister und Parlament besetzt werden können. Ob dieses Regelwerk auch zu einer neuen Verfassung erweitert wird, ist noch nicht geklärt. Auch eine anders konstituierte verfassungsgebende Versammlung sei denkbar, heißt es von Teilnehmern an den Friedensgesprächen.

Möglicherweise schon nach wenigen Wochen sollen sich der Interimspräsident und sein Vize einem Referendum in Liberia stellen. Damit soll vermieden werden, dass das Volk die Verteilung der Spitzenpositionen ablehnt und der Friedensprozess seine Akzeptanz in der Bevölkerung verliert – so wie das in der Elfenbeinküste der Fall gewesen ist, wo die paritätische Verteilung der höchsten Staatsämter zwischen Regierung und Rebellen auf keiner Seite der Kriegsfront vom Volk voll akzeptiert worden ist.

Das Vorhaben der Accra-Konferenz stellt sich gegen eine Forderung der liberianischen Rebellen. Im Laufe der Friedensgespräche hatten sie entweder den Posten des Präsidenten oder den eines Vizepräsidenten gefordert. Die bevorstehende Militärintervention zeigt aber, dass die Ecowas den Forderungen der Rebellen nicht mehr viel Spielraum zuerkennt.

Informell kommt zum Ausdruck, dass die Rebellen einem Kompromisskandidaten als Interimspräsident zustimmen könnten. Hoch gehandelt wird dafür George Toe Washington. Der über 70 Jahre alte ehemalige Armeestabschef absolvierte eine akademische Karriere und war auch schon Botschafter in den USA und China.