Er lief und lief und lief. Und hielt

Einige Familien behandelten den Volkswagen wie eines ihrer Kinder. Jörn Kabisch und Jan Rosenkranz über drei Geschichten aus der Generation Käfer

Einmal Volkswagen, immer Volkswagen. Renate Rosenhauer erinnert sich noch, wie 1954 ein Cousin aus München nach Wolfsburg kam, 14 Jahre alt war sie da. „Wir saßen am Bordstein, und der Heini meinte, der Mercedes sei viel besser als der Käfer. Das gab einen solchen Streit. Wir wären uns fast in die Haare geraten.“

Damals sah man in der Stadt, wo der Kugelporsche produziert wurde, nichts anderes. „Vor allen Häusern standen Käfer, ein neuer nach dem anderen“, sagt Renates Schwester Gudrun. Die ganze Stadt arbeitete eben bei VW, und mit dem VW ging es auch in den Urlaub, im Falle der Familie Rosenhauer in ein kleines Ferienhaus bei München.

Die fünfköpfige Familie passte knapp in den Käfer, das Gepäck eigentlich nie. „Ein großer Koffer wurde immer mit dem Zug vorausgeschickt“, erzählt Gudrun Rosenhauer. Kurz vor der Abfahrt schüttelte der Vater trotzdem den Kopf: „Das geht doch nie rein.“ Das Gepäck musste in den Kofferraum, hinter die Rückbank oder aufs Dach. Irgendwie ging es immer, erinnern sich die Schwestern, bis auf ein Gepäckstück. Aber dann wurde die Hutschachtel zur Not eben auf dem Schoß mit auf die Fahrt nach Bayern genommen.

Zwölf Stunden dauerte die Fahrt über Frankfurt und Stuttgart, erzählt Renate Rosenhauer, die Nürnberger Autobahn existierte noch nicht. Und es muss wohl im Württembergischen gewesen sein, als der Käfer auf die Transporter der amerikanischen Besatzungstruppen stieß. „Wir kleinen Mädchen haben hinten aus dem Fenster mit den Soldaten geflirtet“, sagt Renate. „Der Papa hat davon, glaub ich, nichts gemerkt, sich aber ständig aufgeregt, dass die mit ihren Lastern so dicht auffuhren.“ Die Rückfenster waren damals ziemlich klein und geteilt. Brezelkäfer nannte man den Volkswagen deswegen.

Anfang der 60er standen vor dem Wolfsburger Haus der Familie dann schon mehr Autos. Der Vater hatte als Abteilungsleiter einen Werkswagen und schenkte seinen Töchtern nach dem Schulabschluss – selbstverständlich – einen Volkswagen. Gudrun bekam einen roten Käfer, Renate einen gelben Karmann Ghia. Der war eigentlich das gleiche Auto, nur dass bei dem Karosseriebauer Karmann VW-Chassis und -Motor noch ein Sportwagen-Outfit bekamen. Gleich nach der Schule ein Auto zu bekommen sei damals keine absolute Ausnahme gewesen, erinnern sich die Schwestern. „Die Werksangehörigen hatten schon damals immer das neueste Auto“, sagt Gudrun, also habe es auch viele gebrauchte gegeben.

Gudrun Rosenhauer ist dann zum Studieren nach München gegangen und hat, wie sie sagt, das Einparken gelernt. „Es ging eng zu. Man musste auf Gehör in die Parklücke einlenken, und neue Kotflügel hat man auch immer mal wieder gebraucht.“ Aber die 45 Mark dafür seien nicht die Welt gewesen. Und sie sagt, dass vor der Uni nie die Handbremse angezogen wurde. „Da hat man sich beim Ausparken vorsichtig ein bisschen mehr Platz machen können.“

Gudrun hat bis in die 70er-Jahre noch einen Käfer gefahren. Vor allem ihre drei Söhne liebten das Auto. Wenn sie in die kleine Sackgasse zu dem Haus in München, in dem sie wohnten, einbogen, schrien die Kinder: „Müllwagen, Müllwagen!“ Sie durften aussteigen und stiegen hinten auf die Stoßstange. „Gut festhalten!“, rief die Mutter. Die Kinder klammerten sich an den Skiträger auf dem Motorraumdeckel. Der Käfer fuhr langsam an, und ein riesiges Gejohle brach los.

Von ihren besten Freunden wählten die Söhne immer nur ganz wenige aus, die auf die Stoßstange durften. Als die Mutter später einen Golf fuhr, versuchten sie sie immer wieder zu überreden, sich wieder einen Käfer zu kaufen, zuletzt den „New Beetle“. Aber Gudrun Rosenhauer bleibt bei ihrem Golf. „Was hat denn der Beetle mit dem Käfer zu tun?“, fragt die 62-Jährige. Ihre Schwester, heute gleichfalls Golf-Fahrerin, nickt und erzählt, vor ein paar Tagen habe sie fünf Käfer hintereinander fahren sehen. „Da ist mir schon das Herz höher geschlagen.“ Einmal Volkswagen, immer Volkswagen.

Heinz Erhardt hat in einem Film über den Käfer gesagt, dass er zur Familie gehört. In der Familie Eichenhofer gehörten gleich vier dazu. Und alle hatten sie Namen: Esel, Export, Alter Kamerad und Schwan. Der erste war grau, der zweite blau, der dritte rot und der vierte weiß.

1949 haben sich die Eichenhofers den ersten Käfer angeschafft. Das Modell Standard. 4.800 Mark kostete das Auto damals. Es habe zwar auch andere Marken gegeben, sagt Ruth Eichenhofer, „Ford oder Opel, aber die waren alle teurer“. Und Gedanken, nicht bei einem Werk zu kaufen, das so in die Naziverbrechen verstrickt gewesen war, hätten sie sich nicht gemacht.

Es war das Geschäft, das seinerzeit ein Auto erforderte. Wolfgang Eichenhofer war spät aus britischer Gefangenschaft zurückgekehrt, hatte eigentlich Restaurator werden wollen, dafür auch an der Akademie in München studiert, aber nun musste er das Malergeschäft des Vaters in Ulm übernehmen. Anfangs ging das mit zwei Mitarbeitern, sagt Ruth Eichenhofer, und einem Motorrad, einer Quick von NSU. Pinsel und Farbe verstauten die Maler zuerst einfach im Rucksack. Bald aber gab es mehr und größere Aufträge, bis zu zwanzig Mitarbeiter schafften in dem Betrieb. Da ging es nicht mehr ohne den „Esel“.

„Es war alles bepackt“, erzählt die 84-Jährige. „Den Beifahrersitz hatten wir ausgebaut, dort und auf der Rückbank standen die Farbeimer, ein bisschen was ging auch in den Kofferraum, und dann hatten wir ja auch noch den Dachgarten.“ Sie meint den Gepäckträger. „Da waren die Leitern drauf.“

Funktionalität zählte in dieser Zeit. „Die Ausstattung war minimal. Ein Aschenbecher und ein offenes Handschuhfach, mehr gab es nicht.“ Ein Radio hat Ruth Eichenhofer auch in den nächsten Jahren nie im Auto gehabt. „Das hätte mich zu sehr abgelenkt.“ Eine Spezialität des Standard waren die Winker. Denn auch Blinker fehlten. Stattdessen klappten auf der rechten oder linken Seite Zeiger aus. Ihr Vater, erinnert sich Ruth Eichenhofer, habe damals einen Opel Frosch gefahren, der habe schon einen Zigarettenanzünder gehabt. Außerdem war der Standard nur mit Seilzugbremse ausgestattet und die Kupplung noch nicht synchronisiert; deswegen sei das Fahren schon eine Herausforderung gewesen. Man musste Zwischengas geben und durfte die Kupplung nicht schleifen lassen. „Musisch fahren“, nennt Ruth Eichenhofer das. „Ich habe das bei den Nachfolgern auch immer getan, ich fand, es tat den Autos gut.“

Was den Käfern auch immer sehr gut gefallen haben muss, waren die Decken und die Wärmflasche, die sie vor allem in den kälteren Jahreszeiten auf die Sitzbank über die Batterie gelegt bekamen. „Dann hatten sie mit dem Starten am Morgen keine Probleme“, sagt Ruth Eichenhofer. Und sie erinnert sich, dass ihr Mann später häufig, wenn es mit dem Käfer in die Berge ging, die Batterie ausgebaut und „im Stall zu den Säuen gelegt hat“.

Neun Tage lang Handwerkerferien im August, das war für die Familie die Zeit, um Urlaub zu machen. Dann ging es oft nach Frankreich, in die Bretagne oder in die Normandie, vor allem aber in die Alpen, auch im Winter. „Ketten anlegen“, sagt Ruth Eichenhofer, „habe ich noch in der Fahrschule gelernt.“ Und sie erinnert sich, dass die Familie bei Schnee immer schwere Säcke auf der Rückbank liegen hatte, damit der hinterradangetriebene Wagen nicht so leicht ausbrach. Nur einmal, da hat das nicht geholfen. „Das war bei Glatteis. Aber dann hat sich der Käfer einfach einmal um sich selbst gedreht. Das hat uns gerettet.“

An den Metzgerwagen erinnert sich die kleine Frau mit den Mädchenspangen im Haar am liebsten. Es war der dritte Käfer der Familie, rot, ein gebrauchter Export. In erster Hand hatte ihn ein Metzgermeister gefahren und auch eine Anhängerkupplung drangebaut. Auch der Maler Eichenhofer hängte immer ein zweirädriges Wägelchen dran, erinnert sich seine Witwe. Es war der zuverlässigste Wagen, sagt sie. Der fuhr und fuhr und fuhr. Bis 1978. „Da bekam mein Sohn sogar noch 50 Mark für den Wagen.“

Am Großglockner 1974, da war Klein Clemens sechs und „Clementine“ gerade vier. Rothenburg und Österreich, Serpentinen fahren in Südtirol oder schnurstracks an die Nordsee. Klein Clemens immer hinten, Einzelkind und neben ihm die Taschen. In den Kofferraum ging ja nichts rein. Doch dann, Anfang der 80er, da haben die Eltern in Nordeutschland gebaut. Clementine mit. Hat fast sämtliche Baumaterialien transportiert. Bepackt bis unters Dach, sind sie jedes Wochenende von Westberlin dorthin gefahren. „Irgendwann kannten wir die Grenzer und die uns“, sagt Groß Clemens heute.

Zuerst hat Clementine dem Nachbarn gehört. Am 13. Mai 1970 hatte er sie bekommen. Für 5.500 Mark. Sie, den VW 1300, Käfer Typ 11, 1.276 Kubik, 45 PS, luftgekühlter Heckantrieb und in Originalfarbe L 20 D – warmes Orange, genannt „Clementine“. Das mit Clemens und Clementine – reiner Zufall, doch ein Paar fürs Leben. 1972 hat Clemens’ Vater Harry den Käfer dem Nachbarn abgekauft, weil der zu krank zum Fahren war. Also fuhren ihn die Eichbergs. Überallhin, zum Supermarkt und auch zum Arlbergpass. Clementine in der Serpentine.

Sie war so treu. Und trotzdem, irgendwann musste ein anderes Auto für den Alltag her. 1988. Natürlich ein Volkswagen. „Gebrauchsauto“, sagt Eichberg. Ohne Namen.

Die Käfer-Dame wurde aus dem Verkehr gezogen. „Die Verkehrsdichte hatte zugenommen und damit auch die Gefahr, dass uns da einer reinfährt“, sagt Clemens Eichberg. Seitdem steht Clementine hauptsächlich in der Garage in Spandau. An diesem Nachmittag hat er sie rausgeholt, doch wenn er daran denkt, dass der Wagen jetzt ganz allein und vor der Tür steht, so unbewacht, dann könnte er das Schlottern kriegen. Weil es so viele Neider gibt. „Ich habe da seit einiger Zeit einen langen Kratzer auf der Beifahrerseite“, sagt er. „Das kann kein Zufall sein.“

Clemens Eichberg ist vorsichtig geworden, schließlich liebt er seine Clementine. Und Clementine ist was wert. Sie ist schließlich kein Mexiko-Käfer. Mexiko-Käfer taugen nichts. Nur dünnes Blech und dünner Lack. Unterbodenschutz: null. Hohlraumkonservierung: null. Mit anderen Worten: „Der rostet einem unter dem Hintern weg.“ So eine wie die Clementine, die rostet nicht – und wenn, dann höchstens an den Schwellern unter der Tür und am Rahmenkopf. Da muss man eben ab und zu mal ran.

Zwei Jahre stand die alte Dame abgemeldet in der Garage. Nur 1990, zum letzten Käfertreffen in Berlin, da wurde sie kurz reanimiert für den Korso, den 17. Juni entlang. Und da passierte es. Genau unter dem Brandenburger Tor bleibt „Clementine“ einfach stehen. Im Regen. Bremsen festgefressen. „Wir haben dann mit einem Becherchen Wasser aus einer Pfütze geschöpft und damit so lange die Reifen gekühlt, bis sie wieder fuhr.“ Seitdem kümmert er sich um den Wagen. Na ja, er und der Vater.

Der Käfer ist auch heute noch auf den Vater angemeldet. Und der hat immer noch die Hand drauf. Obwohl sein Sohn inzwischen 36 Jahre alt ist, Industriemechaniker und 2. Vorsitzender der Käfer-Freunde Berlin. Vater hat das letzte Wort – und offensichtlich heißt das meistens „Nein“. Eigentlich hätte Clemens Eichberg gern einen Wohnwagen, ein rundes 70er-Modell, um bei Ausfahrten und Treffen nicht immer zelten zu müssen. Doch dafür hätte der Käfer eine Anhängerkupplung gebraucht. Und das wollte Vater nicht.

Eigentlich würde Clemens auch gern noch mal in Urlaub fahren mit Clementine und Freundin und Koffern auf der Rückbank. Wenn da Vater nicht wäre. Also werden sie wahrscheinlich auch in diesem Sommer wieder seinen Golf nehmen müssen. Golf II, Baujahr 85. So ganz normal ist der aber auch nicht. Vor ein paar Jahren hat Clemens Eichberg den Motor komplett ausgebaut und galvanisieren lassen. Seitdem ist er verchromt. Dafür hat der Käferfreund wahlweise zwei Erklärungen parat. Nummer 1: „Na ja, der eine trägt sein Geld in die Kneipe, der andere verbaut es am Wagen.“ Nummer 2: „Industriemechaniker eben.“