Ich will meinen Joghurt zurück

„maat“: Helge Letonja bemüht sich mit der Steptext-Company um die Rettung des Körpers. Darum bricht er ihn aus Statik und Unschuld heraus und gibt ihm Geschichten. Zum Beispiel über die Produktregulierung durch die Marktwirtschaft

Schlucken, Knacken der Gelenke. An den geschundenen Körper mag sich Letonja jedoch nicht wirklich wagen

Ins Schwarz des Bühnenraums kantet sich hinten ein Lichtquader. Für Momente nur sind Rücken zu sehen, Torsi, die an Fotografien Man Rays erinnern oder französische erotische Aufnahmen der vorletzten Jahrhundertwende. Dann sitzen Tänzerinnen und Tänzer, nur Gesicht und Geschlecht bedeckt, in einem lichten Arrangement.

Ein großes weißes Tuch senkt sich von der Decke, läuft zungenartig auf dem Boden aus. In diesem Raum relativer Unschuld haben es sich die anonymisierten Körper gemütlich gemacht. In altägyptischer Mythologie bezeugt Maat Gerechtigkeit und Wahrheit. Eine Zeugenschaft, die Helge Letonja in der gleichnamigen Produktion der steptext dance company in der Schwankhalle dem Körper an sich angedeihen lassen will. Darum bricht er die Körper in der Folge aus Statik und Unschuld heraus. Und gibt ihnen Geschichten.

Etwa die vom Joghurt. Eine Tänzerin steht vorm Publikum und erzählt, wie das damals war, als es nur zwei Sorten Joghurt gab, die aber gleich schmeckten. Dann kam der Markt mit seinem Angebot. „But no one ever asked me, if I wanted to choose – I want my Yoghurt back, the white one and the red one.“ Sie geht einige Schritte zurück, hält das Mikro einer anderen Figur hin, fragend. Doch was folgt ist ein Schrei, der eine Kettenreaktion in Bewegung setzt – in und mit den anderen Körpern.

So präzise Bilder des Übergangs finden sich selten in maat. Oft weiß man nicht recht, was wir – eingeschworen auf die gemeinschaftliche Reflexion über den Körper – da lesen sollen. In einer Sequenz, da alle ausgelassen zu Elektro-Latino herumhüpfen. Oder wenn einer auf’ Mikro haut und die anderen in einem vervielfältigten Duo das dumpfe Ploppen in Schläge und Tritte übersetzen. Oder wenn das Mikro ganz nah an den Körper heran gehalten wird, dessen klangliche Mikrowelten zu verstärken. Schlucken, das Knacken der Gelenke, Atmen. An den geschundenen Körper mag sich Letonja, so scheint es, jedoch nicht wirklich heranwagen.

Wie ein Fragezeichen steht dann die Ensemblechoreografie des zweiten maat-Teils im Raum. Gerade weil wir ein schönes Arrangement vor uns haben. Zu schön, vielleicht. Von der Decke hängen weiße Säcke, Sand und Kies rieseln auf den Boden, wundervoll rätselhaften Dauersound produzierend. In den flüchtigen Bodenbelag zeichnet die sich immer wieder neu komponierende Gruppe Figuren. Mit den Füßen, reduzierte Bewegungsfolgen, prägnante Wiederholungen.

Und doch steht das Fragezeichen da: Die Körper hinterlassen zwar Spuren. Jene Spuren aber, die im Körper hinterlassen werden, bleiben unbemerkt. Allein als eine Tänzerin zu einer feministischen Überlegung zum eigenen Körper ansetzt, immer lauter, verzweifelter, unartikulierter, weil niemand das Gespräch aufnimmt, entsteht ein starkes Bild der Einsamkeit. Ganz beiläufig und „hässlich“. Mehr davon hätte gut getan. Tim Schomacker

Steptext Dance Company: maat, bis Sa tägl. 20.30 Uhr, Schwankhalle