ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Die Hirschhornknöpfe des Grauens

Und es gibt doch noch ein Tabu, das man brechen kann – das allerletzte: Lederweste tragen. Auf der Arbeit

Morgens vor der Arbeit höre ich immer einen Nachrichtensender. Das ist unter Mediensklaven eine durchaus verbreitete Sitte. Da wird einem schon beim Duschen gesagt, woran man heute zu denken hat.

Wer mit Inforadio, Deutschlandradio oder BBC in den Tag startet, minimiert die Gefahr, den Tag als Depp zu beginnen. Die spontane Äußerung „Wer ist tot? Ronald Reagan?“, kommt auf der Morgenkonferenz nicht so gut, wenn man Auslandsredakteur ist. Wer hingegen mit Antenne Bayern, Radio Brocken oder Radio Paradiso aufwacht, summt vielleicht den ganzen Tag das fröhliche Liedchen, dem er noch im Halbschlaf lauschen durfte. Das kann auch peinlich sein – wenn das Liedchen von Tony Marshall war.

Aber auch Nachrichtensender sind gefährlich. Das erfuhr ich schmerzlich an einem Freitag. Donnerstagnacht hatte ich eine Festivalität mit Tendenz zur Ausschweifung besucht. Am nächsten Morgen reichte mein Pflichtbewusstsein zwar dazu, die träge körperliche Hülle unter die Dusche zu stellen und anschließend das Radio anzuschalten. Mein Geist aber schlief weiter. Irgendwelche Informationen zu verarbeiten – das war zu viel verlangt an diesem Morgen.

Das Nächste, an das ich mich erinnere, sind die großen, staunenden Augen der Kollegin, die mir in der Redaktion gegenübersitzt. Ich schaue an ihr herunter und komme nur bis zum Mund. Sie grinst. Ich schaue an mir herunter – und komme nur bis zum Oberkörper. Ich trage eine Weste. Eine schwarze Weste. Aus Leder. Aus speckigem Leder. Mit Knöpfen. Mit Knöpfen aus Hirschhorn. Mit kinderaugenzuweihnachtengroßen Knöpfen aus Hirschhorn.

– „Was soll das denn?“, fragt sie entsetzt. „Hast du wieder eine Wette verloren?“

Ja, was soll das denn? Ich trage eine schwarze Lederweste zu einem groben, karierten Hemd. So lief man im Ruhrgebiet herum. So um 1985. Und wurde als „Django von der Pommesbude“ verspottet, schon damals.

Wie bin ich in diese Lederweste gekommen? Im Nachrichtenradio lief etwas über die Beisetzung Ronald Reagans und über ein Filmfestival mit John Wayne. Dass muss mein Unterbewusstsein in den falschen Hals gekriegt und die Lederweste aus dem Schrank genommen haben.

Lederweste geht gar nicht. Nicht 2004, nicht in Berlin, nicht einmal in der taz. Obwohl – sonst geht hier ja alles. Hier kann man in Jeans zur Arbeit kommen und in Anzughose. Und in Shorts. Hier kann man Palästinensertücher und T-Shirts mit Davidsternen tragen. Sogar beides zusammen. Hier gehen immer noch Batik-Shirts herum und Hawaiihemden, aber auch Rugbytrikots der südafrikanischen Nationalmannschaft. Hier kann man wallende Gewänder tragen und Miniröcke. Zu haarigen Beinen oder zu rasierten (seit ein paar Jahren). Hier gibt es noch Birkenstock, aber ein Redakteur, der in einer Quizshow ein paar tausend Euro gewann, investierte sie in ein paar echte Budapester. Einen Kollegen gibt es, der kommt zur Arbeit barfuß. (Wer glaubt, das habe ich mir ausgedacht, der lasse sich in 10696 Berlin, Kochstraße 18, 2. Stock, hinten links über die Realität belehren.) Ein Kollege aus dem Archiv arbeitet von Anfang April bis Ende September prinzipiell nackt.

Also, hier geht alles, außer Lederweste. Lederweste gilt in Intellektuellenkreisen als asozial. Denn Lederweste trägt der arbeitende Mann.

– „Ey, Robin, ist das dein Truck da draußen, der die Einfahrt zuparkt?“, scherzt ein Wirtschaftsredakteur. Seine Pranke produziert ein sehr lautes Geräusch als sie auf meine lederummantelte Schulter klatscht.

– „Wo kauft man den so ein edles Stück?“, fragt der Assistent der Lokalredaktion mit süßer Stimme. „In einer tschechischen Tankstelle?“

Glücklicherweise erfahre ich auch Toleranz und Solidarität. So springt mir der Redakteur für homosexuelles Selbstbewusstsein und internationale Schlagerfestivals bei: „In Schwulenkreisen hat man so etwas schon immer gerne getragen – allerdings nur im Darkroom.“

Lederweste, kaum getragen.Gebote an: kolumne@taz.de

MONTAG: Bettina Gaus über FERNSEHEN