Angriff der Schmusekatzen

Seit Januar sind in der indischen Metropole Bombay 19 Menschen von Leoparden gerissen worden. Weil die wachsende Stadt in die Wildnis drängt, greifen eben neuerdings die Gesetze des Dschungels

AUS NEU-DELHI BERNARD IMHASLY

Füchse am Brandenburger Tor, Wildschweine im Mauerpark – wer in Berlin lebt, der kennt das Phänomen von Wildtieren, die der Zivilisation folgen. Wirklich in die Quere kommt man sich bei nicht. Und wenn doch, dann hat man es mit vorwitzigen, aber sanftmütigen Viechern zu tun.

Es ist also selten genug, dass Mensch und Tier im Kampf um Lebensraum direkt aufeinander prallen. Gefährlich, wenn nicht tödlich, enden diese Begegnungen bisweilen in der indischen Metropole Bombay. Allein im Juni wurden zehn Menschen Opfer von Angriffen durch Leoparden. Die westindische Metropole, eine der größten Städte der Welt, liegt auf einer Landspitze, die in die Arabische See hinausragt; sie kann sich nur nord- und ostwärts ausdehnen. Im Norden allerdings wird weiterer Lebensraum vom Borivli-Nationalpark gebremst, dessen 103 Quadratkilometer die einzige grüne Lunge der Riesenstadt darstellen, mit einem See mittendrin, der zudem einen Teil des Dursts der achtzehn Millionen Menschen stillt. Nationalparks genießen in Indien umfassenden Rechtsschutz, doch vermag der Staat den schieren demografischen Druck nicht aufzufangen. Nicht weniger als 61.000 Familien haben in den letzten Jahrzehnten die nur mit Tafeln markierte Grenze zum Park überschritten und sich in seiner Peripherie niedergelassen.

Dies hat die im dicht bewaldeten Park ansässigen Wildtiere immer stärker eingeschnürt. Mit der Zahl illegaler Siedlungen nahmen in den vergangenen Jahren auch die Überfälle gerade von Leoparden zu, von denen 35 bis 40 Tiere im Park ansässig sind. In diesem Jahr haben sie nun dramatisch zugenommen. Insgesamt sind seit Januar 19 Menschen von Leoparden gerissen worden, und 14 von ihnen starben an ihren Verletzungen. Die Opferzahl lag mit 10 Toten im Juni besonders hoch, was Umweltaktivisten auf die Hitze zurückführen, die viele der Bewohner trotz der Gefahr im Freien schlafen lässt.

Die meisten Opfer sind allerdings Leute, die im frühen Morgen oder spätabends im Wald ihre Bedürfnisse verrichten und dabei Leoparden aufschrecken. Es ist ein Hinweis, dass meist arme Menschen auf der Suche nach Wohnraum ihre Hütten in der unsicheren Peripherie des Dschungels errichten. Aber auch Spaziergänger aus angrenzenden Wohnkolonien werden angefallen, wenn sie frühmorgens ihren Gesundheitsspaziergang machen. Zu den Opfern im Juni gehören ein Anwalt, zwei vierjährige Mädchen und ein achtzigjähriger Mann.

Die Behörden sind weitgehend machtlos. Zwar waren 1997 viele der illegalen Siedler nach einem Gerichtsbeschluss umgesiedelt worden. Doch seitdem haben sich wiederum 12.000 Familien – rund 50.000 Menschen – neu niedergelassen, zusätzlich zu den illegalen Wohnkolonien, die aufgrund politischer Protektion der Zerstörung entgehen konnten. Auch der Bau eines Mauerrings, der vor einigen Jahren begonnen wurde, wurde wegen der zahlreichen Breschen in den fertig gestellten Partien inzwischen aufgegeben.

Normalerweise, so wurde ein Umweltschützer in der Presse zitiert, greifen Leoparden Menschen nicht an. Es sollen auch genügend Hirsche und Affen im Park leben. Aber in den letzten Jahren wurden immer auch herrenlose Hunde zum Alltagsbrot der Tiere, und Menschen bieten eine weitere Gelegenheitsbeute. Um dem wachsenden Druck einer immer ängstlicheren Bevölkerung zu begegnen, hat sich die Stadtverwaltung nun zu einem Verzweiflungsopfer entschieden. In den nächsten Tagen sollen im Borivli-Park 500 Schweine ausgesetzt werden.