Die Raupe mit den Gifthaaren

Der Eichenprozessionsspinner beschäftigt zunehmend die Feuerwehr. Begünstigt durch das warme Klima kann sich die Raupe fast ungehemmt vermehren. Doch Vorsicht: Die Härchen des kleinen Tiers können sehr unangenehme Reaktionen auslösen

VON PETER-MICHAEL PETSCH

Fragt man landauf, landab einen Feuerwehrmann, wie er den Eichenprozessionsspinner am liebsten mag, wird man wahrscheinlich zur Antwort bekommen: „gebraten“. Doch es ist nicht der Gourmet im Feuerwehrmann, der dies spricht, sondern der Insektenbekämpfer. Der Eichenprozessionsspinner, bei den Entomologen auch unter dem wissenschaftlichen Namen Thaumetopoea processionea bekannt, ist ein Forstschädling, der in den meisten europäischen Ländern beheimatet ist. Die milden klimatischen Verhältnisse haben seit den 90er-Jahren die Massenvermehrung des Insekts begünstigt, was sich für den Menschen negativ auswirkt. Das auf den ersten Blick harmlose Insekt wird mehr und mehr zu einem ernsten Problem – selbst in den Großstädten. So musste beispielsweise die Stuttgarter Berufsfeuerwehr in diesem Jahr bereits mehrfach auf Insektenjagd gehen. Mit 16 Mann, einem Löschzug, Drehleiter und Gasbrennern mussten die Wehrleute ausrücken, um den gefährlichen Insekten den Garaus zu machen.

Ihren Namen verdankt der Prozessionsspinner seinen Gewohnheiten: Er ist auf Eichenbäumen anzutreffen, und nachts prozessiert er mit zahlreichen seiner Artgenossen von den Nestern an der Unterseite starker Äste oder am Baumstamm in die Baumkrone. Dort ernährt sich die Raupe von den Blättern verschiedener Eichenarten.

Am Morgen kehren sie quasi im Gänsemarsch wieder in die Nester zurück. Nach dem letzten Larvenstadium verpuppen sich die Insekten und verlassen schließlich im Hochsommer ihr Nest endgültig als unscheinbare graubraune Falter.

Die Larve des Eichenprozessionsspinners trägt Gifthaare, die auf der menschlichen Haut und den Schleimhäuten toxische oder allergische Reaktionen hervorrufen. Unmittelbar nach dem Kontakt kann sich ein fast unerträglicher Juckreiz entwickeln, dem ein Hautausschlag mit Rötung und Schwellung folgt.

Die Raupendermatitis tritt in drei klinischen Erscheinungsbildern auf: Kontakturtikaria (Quaddeln), toxische irritative Dermatitis (Hautentzündung) oder anhaltende Papeln (Knötchen), die an die Körperreaktionen von Insektenstichen erinnern. Kommen die Allergene in die Augen, ist eine Augenreizung die Folge. Lebensbedrohliche Asthmaanfälle können beim Einatmen der Gifthaare die heftigste Reaktion des Körpers sein.

Da die mikroskopisch kleinen Gifthaare bis zu hundert Meter weit vom Wind getragen werden können, stellen sie eine wichtige, bisher allerdings wenig beachtete Ursache für luftübertragene Krankheiten dar. „Unsere Feuerwehrleute müssen bei der Arbeit einen Vollschutzanzug und ein Atemschutzgerät mit Filter tragen“, erläutert Oberbrandmeister Frank Epp von der Berufsfeuerwehr Stuttgart. So soll eine Eigengefährdung für die Feuerwehrleute möglichst ausgeschlossen werden.

Auch die Umgebung rund um die befallenen Eichenbäume müssen großzügig abgesperrt werden, um Anwohner oder Autofahrer zu schützen. Nicht selten landen die Gifthaare auf Passanten, Rad- und Motorradfahrern mit offenem Helm oder in vorbeifahrenden Cabrios, was besonders bei den motorisierten Zeitgenossen fatale Folgen haben kann.

Sind die Tiere erst einmal unangenehm aufgefallen, geht es meist schnell. Eine Flucht vor den Flammbrennern der Floriansjünger ist für die Larven dann nicht mehr möglich. Beim Insekteneinsatz zeigt sich, wozu man moderne Brandschutztechnik nutzen kann. Mit der Drehleiter werden die Nester in luftiger Höhe geortet und kurzerhand abgefackelt. Die unerreichbaren Nester werden abgeschüttelt und am Boden vernichtet.

Für Passanten, die die charakteristisch braunschwarzen, behaarten Raupen prozessierend als Fressgesellschaft oder in ihren ovalen Nestern entdecken, ist es ratsam, möglichst viel Abstand zu nehmen und die Feuerwehr zu rufen.