Resolute Juristin auf unbequemem Posten

Seit gestern ist die Kanadierin und Ex-Milošević-Anklägerin Louise Arbour UN-Hochkommissarin für Menschenrechte

UN-Generalsekretär Kofi Annan hat sie persönlich nominiert: Louise Arbour, 57, die gestern offiziell ihr Amt als neue UN-Hochkommissarin für Menschenrechte antrat. Die kanadische Juristin ist fürwahr keine Unbekannte, wenn es darum geht, Menschenrechtsverletzungen weltweit zu bekämpfen: Zwischen 1996 und 1999 war sie die Chefanklägerin des Den Haager Tribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Und sie war es, die 1999 den Haftbefehl gegen den – damals noch im Amt befindlichen – serbischen Präsidenten Slobodan Milošević formulierte, obwohl nicht wenige Regierungen befürchteten, das könnte die Verhandlungen um eine künftige Friedensregelung untergraben. Sie nahm ihre Funktion ernst und versuchte, die Politik so gut wie möglich zu ignorieren: „Es kommt nicht unbedingt darauf an, wer der Aggressor ist oder wessen Sache gerechter zu sein scheint. Das ist wichtig für die politische Beurteilung eines Konflikts, aber nicht für mich als Strafverfolgerin“, sagte sie 1998 in einem Spiegel-Interview.

Der Unparteilichkeit blieb sie weiter verpflichtet: 1999 verließ sie Den Haag und wurde Richterin am Obersten Gerichtshof Kanadas, ein Posten, den sie nach eigenem Bekunden jetzt durchaus mit Bedauern aufgibt.

In ihrem neuen Amt begibt sich Arbour nun dezidiert ins politische Leben. Als UN-Hochkommissarin für Menschenrechte kann sie weder Anklagen erheben noch Verbrecher verurteilen, sie kann auch keine Präzedenzfälle entscheiden. Was ihr, wie ihren Vorgängern, der Irin Mary Robinson und dem in Bagdad getöteten Brasilianer Sergio Viera de Mello, bleibt, ist die politische Einflussnahme, unabhängig, überparteilich, zwischen allen Stühlen. Sie weiß, dass diese Position doppelt schwierig auszufüllen ist. Einerseits, weil die Achtung der Menschenrechte in vielen Ländern der Welt auf dem Rückzug ist – ein Umstand, in den Arbour den Umgang der USA mit als Terroristen verdächtigten Gefangenen ausdrücklich einschließt –, und andererseits, weil die UN-Menschenrechtskommission, mit der sie zusammenarbeiten muss, in den letzten Jahren mehr und mehr zu einer Spielwiese von Regierungen geworden ist, die vor allem deshalb in die Kommission drängen, um Klagen an die eigene Adresse abzuwehren. Die Präsidentschaft Libyens war 2003 nur der traurige Höhepunkt eines stetigen Verfalls, den Menschenrechtsorganisationen seit langem beklagen.

Wenn aber jemand in der Lage ist, auch einen solchen Spagat in unbequemer Lage auszuhalten, dann die an Konflikte und Anfeindungen mehr als gewöhnte Louise Arbour. Schwerpunkte ihrer vierjährigen Amtszeit sieht sie fast überall auf der Welt, ob im US-Gefängnis in Guantánamo, in Abu Ghraib, in Tschetschenien, in China oder im Sudan. Kein Wunder, dass internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch ihre Ernennung überschwänglich begrüßt haben.

BERND PICKERT