Die Ausstellung „Anders wohnen“ im Museum für Kunst und Gewerbe wandelt durch die Design-Geschichte
: Irrungen und Wirrungen aus 20 Jahren

„Anders Wohnen“, das klingt nach Architektur-Utopie, nach kühnem „Ich-bin-anders-darum-wohne-ich-auch-anders“, nach Hippiekommune oder Weltraumdesign – jedenfalls irgendwie nach einem Versprechen. Doch beim Besuch der neuen Schau des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe stellt sich schnell Ernüchterung ein. Das kennt man doch! Aber sicher: In der Ecke lauert leuchtend das pastellige Memphis-Design von Michele De Lucchi, Ettore Sottsass, George Sowden und Marco Zanini, gleich daneben stehen Sitzmöbel von Gaetano Pesce und Philip Starck.

„Anders“ ist das nicht – aber so soll die Ausstellung auch nicht begriffen werden. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe verfügt über eine der wichtigsten kunsthandwerklichen Sammlungen Europas und hat mit Möbel Perdu (1982), Design-Dasein (1987) und Vom Nutzen der Dinge (1992) bedeutende Ausstellungen zum modernen Design gezeigt.

Anders Wohnen knüpft an diese Tradition an und stellt die wichtigsten Neuerwerbungen der vergangenen 20 Jahre vor: Werke aus Design und Kunsthandwerk, zu Gruppen gefügt wie „Memphis“, „Internationales Möbeldesign“, „Deutsches Möbeldesign“, „Neue Bescheidenheit“ und „Hamburger Möbeltischlerei“. Dabei geht es den Ausstellungsmachern vor allem um die Grenzbereiche von Design und Kunsthandwerk – die Ausstellung soll den Dialog der Gestaltungsansätze dokumentieren.

Design orientiert sich stärker am Geschmack großer Käuferschichten, will in großen Stückzahlen produziert werden. Dagegen ist das Kunsthandwerk am individuellen Konsumenten orientiert, oft gibt es nur einen einzigen Auftraggeber, und das Produkt ist ein hochwertiges Unikat. In diesem Spannungsverhältnis bewegt sich die Ausstellung: Anders Wohnen mäandert zwischen Serienproduktion, Design- und Kunsterlebnis, immer auf der Suche nach der schönen Form – mit herrlichen Einzelstücken wie Peter Changs surreal anmutender Pfeffermühle (Foto: Museum) aus dem Jahr 1996, die oben an eine Entenflosse erinnert und gleichzeitig auf dürren Spinnenbeinen davonzulaufen droht. Aus der Mitte glotzen vier große Pupillen hervor – ein Wolpertinger, der die ermüdende Frage „Machst du heute mal den Salat an?“ endgültig aus dem Beziehungsalltag streicht.

Zu sehen sind aber auch faule Designäpfel wie Sottsass‘ Sideboard „Malabar“ von 1982 oder bekannte Stuhlentwürfe von Tom Dixon, Robert Wilson oder Marcel Wanders. Da stehen brachiale Metallarbeiten der frühen Achtziger neben asiatischem Minimalismus, Industriedesign neben handgearbeiteten, hanseatischen Unikaten aus Edelhölzern, ökologische „Neue Bescheidenheit“ neben grässlich-trashigem 80er-Look.

Auch Glas und Keramik zeigt die Schau, wie etwa Dale Chihulys Kleinplastik aus dem Jahr 1992, eine glänzende Muschelform – kostbar anmutend, aber auch reichlich kitschig. Viel englische Keramik ist in der Ausstellung vertreten, von jungen Gestaltern, die Gefäßformen in freie Objekte überführen. Der Franzose Claude Varlan zeigt eine prächtige Gartenvase. Außerdem zu sehen sind neuere Entwürfe der Metallkunst: Da gibt es handgeschmiedetes Besteck und freie, farbenfrohe Arbeiten aus Kupfer, Messing und Eisen, die durch Färben und Patinieren eine neuartige Anmutung erhalten haben.

Die Schau ist ein Spiegel von 20 Jahren Designgeschichte, mit all ihren Irrungen und Wirrungen, aber auch mit ihren Höhepunkten. Dass die Handwerkskunst oft der innovative Schrittmacher des Design war, wird in der Schau ebenfalls deutlich. Die Langzeitwirkung klassischer Handwerkskunst ist nicht zu unterschätzen: Einige Hamburger Möbelentwürfe scheinen geradewegs aus einer altenglischen Arts and Crafts-Tischlerstube zu kommen. Es gibt sie noch, die schönen Dinge. So weit so schön wie aus dem Manufaktum-Katalog, noch schöner sogar, doch Anders Wohnen haben wir uns wirklich anders vorgestellt.

MARC PESCHKE

Di–So 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr. Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz; bis 11.1.2004