„Es muss einfach funktionieren“

Nach Surinam: Hier fehlt das Herzliche – Kai F. will mit Frau und Kind neu anfangen. Geld verdienen wollen sie mit gebrauchten Computern und einem Fischerboot. Ihre Tochter soll in einer friedlicheren Gesellschaft aufwachsen

Auf einmal brauchte die Firma ihn nicht mehr. Jahrelang arbeitete Kai F.* als Techniker für einen großen Lampenhersteller. Dann entschied die Firma, dass sie diese Leistung nicht mehr benötigt, und setzte ihn an eine Maschine. Drei Jahre schuftete er im Akkord. Jetzt steht fest, dass das ganze Werk geschlossen wird.

Kai F. hat gekündigt, eine Stelle in seinem alten Job wird er in Berlin kaum mehr finden. Er wird auch gar nicht mehr suchen. Günstige Perspektiven für seine Familie sieht er erst tausende Kilometer von Berlin entfernt, an der Nordküste Südamerikas. Im Oktober ziehen Kai F., seine Frau Jenny*, eine gebürtige Guayanerin, und ihre sechsjährige Tochter Bonnie* nach Paramaribo, die Hauptstadt Surinams. „Wir fangen ganz neu an“, sagen sie.

Im Wohnzimmer stapeln sich bereits die Kisten mit Hausrat, den sie auf Flohmärkten und bei eBay verkaufen wollen. Nur ein kleinerer Teil ihres Besitzes folgt der Familie im Container. Bis der ankommt, müssen sie vor Ort ein Haus organisiert haben. Die erste Unterkunft bei Jennys Schwester ist nur Durchgangsstation. Eine heikle Ausgangslage. Von Nervosität trotzdem keine Spur. Wenn sie von ihren Plänen erzählen, dann tun sie das entspannt und gelöst – Optimismus und Vorfreude, keine Sorgenfalten und kein Bedauern.

In Berlin hält sie ja auch nichts mehr. „Das Feeling der Stadt hat sich verändert. Es fehlt das Herzliche“, erklärt Kai. Vom Leben in Surinam erhofft er sich weniger Stress, weniger Dreck, weniger Ellenbogen, mehr Zeit und auch mehr Gerechtigkeit. Er kritisiert vor allem ständigen Sozialabbau: „Hier löhne ich seit 25 Jahren und bekomme trotzdem immer weniger raus. In Surinam kriege ich, wofür ich bezahle – auch wenn es weniger ist als in Deutschland.“ Es geht ihm ums Prinzip. Dafür nimmt in Kauf, eine Existenz in einem Land aufzubauen, dessen Einwohner im Schnitt weniger als 1.000 Dollar im Jahr verdienen.

Kai hat sich eine Geschäftsidee einfallen lassen, die das berücksichtigt. Er wird von seiner Abfindung ein Geschäft mit billigen Gebrauchtcomputern aufmachen. Eine Marktlücke, glaubt er, bisher gibt es nur wenige Geschäfte für neue Geräte, die sich nur die Oberschicht leisten kann. Jenny wird ein größeres Fischerboot kaufen und managen, damit die Familie ihr Auskommen hat. Reich werden sie dort – nach deutschen Maßstäben – nicht werden. Wozu auch? Reich nach den Maßstäben in Surinam sind sie ja schon. „Mit unserem Ersparten im Rücken haben wir optimale Ausgangsbedingungen“, sagt Kai.

Er kennt das Land nur aus einem längeren Urlaub vor acht Jahren, bei dem er auch seine Frau kennen lernte. Trotzdem ist er sich sicher, dass sein Plan aufgeht. „Es muss einfach funktionieren.“ Auch wegen der Gesundheit Jennys. Anfang des Jahres besuchte sie das Land für mehrere Monate, um Informationen zu sammeln. Der Aufenthalt bekam ihr, sie hatte keine Schmerzen mehr. Jenny leidet unter einer Hüftkopfnekrose, die Rheuma-ähnliche Symptome hervorruft. In Deutschland musste sie deshalb ihre Arbeit in einem Hotel aufgeben. „Ich saß nur noch zu Hause rum und sehnte mich danach, etwas tun zu können“, sagt sie. Damit war die Entscheidung gefallen. Zumal auch die kleine Bonnie keine Probleme mit der Schule haben sollte, da sie zweisprachig aufgewachsen ist. Amtssprache Surinams ist zwar Holländisch, unterrichtet wird aber auch in Englisch. Die Auswanderung solle vor allem ihr eine bessere Zukunft ermöglichen. Eine Zukunft in einer ärmeren, aber „weniger aggressiven Gesellschaft“, hoffen Kai und Jenny. SBE

* Namen geändert