normalzeit: HELMUT HÖGE über Landesarmut
„Agrikultur und Kultur haben denselben Ursprung, dieselbe Grundfläche – ein leeres Feld“ (Michel Serres)
Am vorigen Freitag verkündeten 30 Initiativen und Verbände (unter anderem der Paritätische Wohlfahrtsverband) in Potsdam: „Wir werden der Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche nicht mehr länger tatenlos zusehen.“ Zu diesem Zweck verteilten sie nicht etwa wahre Unsummen an die märkischen Armen. Nein: Sie gründeten eine „Landesarmutskonferenz“.
Zur selben Zeit widmeten sich auch drei Berliner Künstler (Abée, Allex und Wieczorek) im Haus der Demokratie dem Thema Arm und Reich. Zuvörderst hatten sie jede Menge Leute angeschrieben, sich dazu im Rahmen eines „Mail Art Projekts“ brieflich zu äußern. Deren Rückmeldungen hingen oder standen nun im „Robert-Havemann-Saal“, während sich drei Referenten über „Gemein und Gut“ aussprachen. Die erste Künstlerin, Eva Willig, sah eine Möglichkeit, die „Spaltung in Arme und Reiche“ aufzuheben in der Landnahme und -bearbeitung. Sie begann bei Karl dem Großen, der ein Regelwerk erließ, mit dem festgelegt wurde, wie und womit Lehensgüter zu bestellen waren, unter anderem mit 73 Pflanzen und 16 Gehölzen, die zum Wohle der Bevölkerung angepflanzt werden sollten. Daraus zog sie für „Heute“ den Schluss: „Wir nehmen die öffentlichen Flächen in unseren Besitz, wir vergesellschaften sie und säen und pflanzen das, was uns versorgt.“ Diesem Rat ließ sie sogleich eine Tat folgen, indem sie „Samenbomben“ verteilte: Säckchen mit Wildblumen-, Kräuter- und Gemüsesamen. Damit sollten aus uns, Zuhörern, allesamt „Gartenpiraten“ werden: eine Art Radikalisierung der „Stadtgärten“-Propaganda von Maria Mies.
Der nächste Referent, Winfried Schiffer, empfahl Ähnliches: Ausgehend von seinem „Wriezener Freiraum Labor“, wo man ebenfalls mit „Samenbomben“ nur so um sich schmeißen darf, warb er für ein weiteres Freiraumprojekt im Friedrichshainer Park an der Helsingforser Straße: ein vom Bezirk gefördertes „Kunstprojekt im öffentlichen Raum“, an dem sich jeder mit eigenen „Seedballs“ beteiligen kann. Der Künstler will dabei als „Feldmoderator vor Ort“ fungieren. Und beweisen will er damit nicht zuletzt, dass eine Durchschnittsfamilie bereits von einer 1.000 Quadratmeter großen Fläche leben kann. Schiffer beruft sich dabei auf die Lehre von der „natürlichen Landwirtschaft“ des japanischen Mikrobiologen und Bauern Masanobu Fukuoka, wie ebenso auf den „Agrarrebellen“ Sepp Holzer, der dies seit Jahren zur Verblüffung der Wissenschaft mit „Perma- und Aquakulturen“ 1.500 Meter hoch in den Alpen beweist.
Die Schweizer Biologin Florianne Koechlin hat ihn dazu in ihrem neuen Buch „Pflanzenpalaver“ interviewt. „Es gibt keinen schlechten Boden“, meint Holzer, „es gibt für mich auch kein Unkraut und kein Ungeziefer, sondern es gibt nur unfähige Leute, die sich ihr eigenes Paradies zerstören“ – und deswegen permanent nach mehr als 1.000 Quadratmeter gieren (müssen). Fukuokas Prinzipien lauten: „Nicht fragen, was man tun sollte, sondern sich fragen, was man unterlassen kann. Es gibt wenig landwirtschaftliche Praktiken, die wirklich nötig sind. Keine Maschinen, keine Chemikalien, keine Kompostierung, keine Bodenbearbeitung! Dauerbegrünung!“
Der dritte Referent, Archibald Kuhnke, führte uns direkt zur Kunst zurück: Ausgehend von Joseph Beuys Diktum „Jeder Mensch ist ein Künstler“ und Peter Weiss’ „Ästhetik des Widerstands“ entwarf der IG-Metall-Aktivist eine Art widerständische Ästhetik. „Nur in der Kunst hat man den Zusammenbruch des DDR-Regimes vorausgesehen bzw. geahnt“, meinte er, der deswegen zur Überwindung des Kapitalismus auf „Ateliers des Kommunismus“ setzt.
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