Ruhiger Gestus

Angela Schanelecs „Marseille“ beschließt morgen die Metropolis-Reihe „Deutschland, revisited“

In mancherlei Hinsicht ist Angela Schanelecs Marseille von den Filmen der Metropolis-Reihe „Deutschland, revisited“, deren Abschluss er am morgigen Dienstag bildet, der extremste. Hatten auch Ulrich Köhlers Bungalow und Maria Speths In den Tag hinein ein eher langsames Erzähltempo angeschlagen und sich mehr für die kleinen Gesten ihrer Figuren als für den großen Spannungsbogen ihrer Geschichten interessiert, so zwingt Marseille den Zuschauer noch stärker, sich auf seinen vor allem aus ruhigen Beobachtungen bestehenden Erzählgestus einzulassen.

Ist man dazu bereit, dann erzeugt Marseille wie schon Schanelecs frührere Arbeiten Plätze in Städten und Mein langsames Leben eine geschärfte Aufmerksamkeit für Details, wie sie im gegenwärtigen Kino ansonsten immer seltener wird. Mit einer ähnlich großen Sensibilität, wie er Schanelecs Kamerablick eigen ist, reagiert auch ihre Heldin Sophie (Maren Eggert) auf die Menschen und die Dinge um sie herum.

Wie ihre Vorgängerinnen aus den genannten Filmen scheint sich die Protagonistin, eine junge Fotografin, in einer Art „Dazwischen“ zu befinden. In Berlin lebend, tauscht sie ihre Wohnung vorübergehend mit einer Studentin in Marseille. In der kalten Februarsonne überlässt sie sich der Stadt geradezu, schlendert umher, fotografiert und ist offen für den Zauber einer unverbindlichen Begegnung mit einem jungen Mechaniker.

Zurück in Berlin – die Französin hatte ihre Wohnung gar nicht in Anspruch genommen –, fühlt sich Sophie in den bestehenden Verhältnissen umso eingeengter: Ihre Gefühle für Ivan (Devid Striesow), den Mann ihrer besten Freundin Hanna (Marie-Lou Sellem) bleiben unausgesprochen – die Pflichten des Alltags wollen bewältigt werden.

Charakteristisch für Schanelecs inzwischen unverkennbaren Stil ist, dass ihre Szenen so gut wie nie auf „Höhepunkte“ wie etwa Gefühlsausbrüche der Figuren hin inszeniert sind. Ihr Ziel ist es vielmehr, die Phantasie des Zuschauers freizusetzen, und das erreichen die Filme immer wieder, indem Entscheidendes in ihnen ausgespart bleibt. So wird in Marseille nicht etwa die Tat gezeigt, die Sophies letztendliche Befreiung auslöst, die zugleich eine Art Erlösung von sich selbst ist, sondern ihre Reaktion darauf.

Als Vorbild für dieses indirekte Verfahren hat Angela Schanelec einmal Bressons Das Geld und Godards Rette sich, wer kann (Das Leben) genannt. Aber auch an Ozu-Filme kann man bei Marseille ohne weiteres denken.

Eckhard Haschen

morgen, 19 Uhr, Metropolis