Ende noch vor dem Anfang

Eine unkommerzielle, unpolitische Bewegung kommt nach Berlin – und wird gleich als PR-Gag missbraucht. In den spontanen „Flash Mobs“ könnte sich mehr als eine Spaßguerilla äußern

von NICOLAI KWASNIEWSKI

Rund vierzig Leute breiten die Arme aus, drehen sich, springen auf und ab. Etwas erhöht steht ein Mann mit einem bunten Regenschirm und macht vor, was unten alle nachmachen. Ein Aufschrei, Applaus, der Mann steigt herunter, der Spaß ist vorbei. Rolf Kunz hat versucht, alles richtig zu machen – und hat doch nichts verstanden. Er ist Radio-Eins-Reporter und sollte auf Anweisung seiner Redaktion am Mittwochabend im Sony Center den ersten Berliner Flash Mob initiieren.

Im Juni in den USA entstanden, ist die Idee über England, Italien, Österreich schließlich nach Deutschland gelangt – und in Berlin im Keim erstickt worden. Für einen Flash Mob treffen sich möglichst viele Leute zu einer festgelegten Zeit an einem öffentlichen Ort, um scheinbar sinnfreie Dinge zu tun. Normalerweise werden Informationen nur über Foren und Newsgroups im Internet bekannt gegeben. Im Sony Center aber waren mehr Journalisten als Teilnehmer. Der erste Berliner Flash Mob war eigentlich erst für heute angekündigt, nur initiierte Radio Eins schnell den noch ersteren.

Die ungeplante Werbung stieß derweil in den Weblogs auf ein geteiltes Echo. Die einen freuten sich, dass so mehr Leute mobilisiert würden, andere warnten vor Kommerzialisierung. Denn kommerziell sollen die Versammlungen ebenso wenig sein wie politisch. Der erste Flash Mob in Minneapolis fand in der riesigen Mall of America statt. Bereits in den Einladungen wurde dazu aufgerufen, nichts zu kaufen. Nicht vor, nicht während und nicht nach dem Flash Mob. Damit die Idee nicht von Konzernen als Marketinginstrument übernommen werden könne.

Als im Mai ein „Bill“ den ersten Flash Mob in New York per E-Mail organisierte, informierte ein Empfänger die Behörden. Polizei verhinderte die spontane Zusammenkunft. Im zweiten Mob versammelten sich hunderte in der Teppichabteilung eines Kaufhauses. Sie stellten sich als Wohngemeinschaft vor, die einen „Liebesteppich“ sucht.

Die Mobs waren militärisch genau geplant: Teilnehmer mussten sich in bestimmten Bars einfinden um Instruktionen zu erhalten und auf die Sekunde am ausgemachten Ort erscheinen. Manche sehen Flash Mobs als Testläufe für gut organisierte, unangemeldete Demonstrationen. Die antipolitische Fraktion freut sich darüber, dass jeder New Yorker einen vernünftigen Grund brauche, um etwas zu tun, deshalb sei ein sinnfreier Mob so schön.

Der US-amerikanische Medientheoretiker Howard Rheingold liefert den theoretischen Hintergrund für Flash Mobs. In seinem im November 2002 erschienenen Buch „Smart Mobs: The Next Social Revolution“ redet er bereits von „intelligenten Massen“, die sich der neuen Medien bedienen, um sich kurzfristig und kurzzeitig für ein gemeinsames Ziel zusammenzuschließen. Die Menschen müssen sich nicht kennen, um gemeinsam zu handeln. Globalisierungskritische Demos wurden so organisiert, der Sturz des philippinischen Präsidenten Estrada wurde durch per SMS organisierte Demonstrationen herbeigeführt. Auch die jüngsten Proteste in Teheran folgten dem Muster, viele kleine Kundgebungen statt einer – besser zu kontrollierenden – Großdemo.

Rheingold spricht von einer „sozialen Revolution“, obwohl die Entwicklung auch eine andere Richtung nehmen könnte. Auf seiner Website ruft ein „alfredo“ zu „urbanem Terrorismus“ auf. Er schwärmt von den Möglichkeiten der Smart Mobs, die sich an beliebigen Orten einer Stadt zusammenfinden, alles kurz und klein schlagen und wieder verschwinden können.

Aber auch ohne solche Extrempositionen müssen Flash-Mob-Aktionen nicht vollkommen inhaltsleer sein – nicht einmal wenn sie per Radio organisiert werden. So rief der Sender FSK bereits im Mai 2002 zum „Radioballett“ im Hamburger Hauptbahnhof. Bei der „Übung in unnötigem Aufenthalt“ wurde „die Grauzone zwischen ‚erlaubten‘ und ‚unerlaubten‘ Gesten“ erforscht. Eine zum Gruß ausgestreckte Hand ist erlaubt, eine aufgehaltene Hand ist verboten – Bettelei.

Auch die aktuell angekündigten Flash Mobs in Berlin lassen schon durch die Ortswahl eine Intention erkennen. Heute ist ein dadaistisch anmutendes Handy-Telefonieren vor dem KaDeWe anberaumt, morgen werden Fahnen schwenkende Sekttrinker vor der US-Botschaft erwartet.