Zahl der Soldaten mit Trauma steigt

BERLIN taz/ap/dpa ■ Die Zahl der Bundeswehrsoldaten, die nach einem Auslandseinsatz unter psychischen Problemen leiden, steigt. Vor allem Soldaten, die in Afghanistan stationiert waren, sind durch Gewalt- und Elendserfahrungen traumatisiert, wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Abgeordneten Elke Hoff mitteilte.

Demnach stieg die Zahl der Soldaten, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden, von 83 im Jahr 2006 auf 149 im Jahr 2007 und auf 245 im vorigen Jahr. Damit haben sich die Zahlen von Jahr zu Jahr fast verdoppelt; insgesamt waren es in diesen drei Jahren 477 Soldaten. Ulrich Kirsch, der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, schätzt die tatsächliche Zahl auf 1.700.

Bisher wurden mehr als 700 Soldaten wegen PTBS in Bundeswehrkliniken behandelt, das ist noch nicht einmal 1 Prozent der Zurückgekehrten. Der Traumatologe Karl-Heinz Biesold vom Bundeswehrkrankenhaus Hamburg schätzt den Anteil behandlungbedürftiger Soldaten auf „zwei bis fünf Prozent“ aller Zurückgekehrten, andere Experten glauben, er liege sogar zwischen 10 und 20 Prozent.

Viele gestehen sich aus Angst um ihre Karriere und um ihr Selbstbild als Mann nicht ein, dass sie krank sind. Traumatisierte, die nicht behandelt werden, können zur Gefahr für sich und ihre Umwelt werden. Konfrontiert mit traumaauslösenden Momenten („Triggern“) wie Geräuschen oder Gerüchen, können sie durchdrehen und sich oder andere verletzen oder töten.

Ein traumatisierter Berufssoldat kann bei der Bundeswehrverwaltung Frührente beantragen. Die Voraussetzung dafür ist, dass sein Trauma als Wehrdienstbeschädigung anerkannt wird. Bisher haben nach Auskunft des Bundeswehrverbands jedoch nur rund 200 Personen einen solchen Antrag gestellt. Die Verwaltung stimmte in weniger als 100 Fällen zu, offenbar um Geld zu sparen und Präzedenzfälle zu vermeiden. Wenn ein Betroffener gegen die Ablehnung seines Antrags klagt, gewährt der Bundeswehrverband Rechtshilfe.

Zudem hat die Interessenvertretung der Soldaten einen 17 Punkte umfassenden Forderungskatalog erarbeitet, in dem unter anderem die Einrichtung einer Hotline für Traumatisierte und eine hohe fachliche Qualifikation für Gerichtsgutachter gefordert wird. Die sei bislang nicht immer ausreichen, es habe auch schon Fälle gegeben, in denen Sportmediziner beigezogen worden seien, berichtet Marcus Garbers vom Bundeswehrverband.

In der kommenden Woche soll im Bundestag ein Antrag der CDU- und SPD-Fraktion verabschiedet werden, in dem einige Forderungen des Soldatenverbandes aufgegriffen werden – unter anderem die nach Errichtung einer anonymen Telefonberatung für Betroffene.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung sagte am Dienstag, dass er diese Entwicklung „sehr ernst“ nehme. Er appellierte an betroffene Soldaten, möglichst schnell einen Arzt aufzusuchen, wenn sie Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung fühlten. „Je früher dieses Rückkehrertrauma behandelt wird, desto besser ist es.“ Der Minister kündigte an, „in der Perspektive ein Kompetenz- und Forschungszentrum“ einzurichten.

Die Zahl von Zivilisten, die in Afghanistan durch Kampfhandlungen getötet wurden, ist im vorigen Jahr um 40 Prozent auf 2.100 gestiegen, wie ein UN-Sprecher am Dienstag in Genf mitteilte. USCHE