: Keine leichte Schau
Sie strotzt vor mutigen Thesen, bekennt sich aber letztlich zu keiner davon: Die Ausstellung „Manson 1969“ in der Hamburger Kunsthalle kommt seltsam überfrachtet und unschlüssig daher
VON PETRA SCHELLEN
Sie haben gesagt, dass sie keinen roten Faden für ihre Ausstellung wollen. Dass sie als Kuratoren der Hamburger Schau „Manson 1969“ vielmehr Türen zur Reflexion öffnen werden – über das, was 1969 geschah. Also über Verbindungen zwischen den Morden der Manson-Kommune, dem friedlichen Woodstock-Festival und dem von Altamont ein paar Monate später, auf dem ein „Hells Angels“-Mitglied einen Besucher erstach. Über das Umkippen friedlicher Hippie-Kultur in die Gewalttätigkeit. Auch die 1970 gegründete RAF wird in die Schau hineingezogen. Dabei klingt der explizite „Verzicht“ der Kuratoren auf Stringenz, als handele es sich dabei um einen Luxus, den allenfalls verstreute Konservative noch einfordern.
Aber das ist natürlich nicht wahr: Sowohl Ausstellungsmacher als auch Besucher erhoffen sich etwas: Information, Erkenntnisgewinn, ästhetisches oder intellektuelles Vergnügen, biographisch bedingte Sentimentalität – was auch immer. Denn niemand mag auf einem „Markt der Möglichkeiten“ umherstapfen, der einen bunten Strauß an Thesen anbietet, ohne sich zu irgendeiner zu bekennen.
So unverbindlich, wie sie tut, kommt die Hamburger Schau zunächst auch gar nicht daher: Der Parcours beginnt mit einem Paukenschlag. Das Video „Hula-Hoop“ der Israelitin Sigalit Landau empfängt einen brüsk; eine Nackte tanzt darauf mit einem Stacheldraht-Reifen Hula-Hoop. Eine Einstimmung auf die Pole Sinnlichkeit und Tod, passend zum Triptychon „‘69“, dessen zentrales Foto den Kommunengründer Manson zeigt, der Anhängerinnen zu sieben Morden in Hollywood angestiftet haben soll. Davor steht eine Installation von Teresa Margolles. Im Minutentakt tropft aus einem Kanister Leichenfett auf den Boden. Die Assoziationen sind klar: Freizügigkeit und Gewalttätigkeit als Facetten der Hippie-Bewegung, aus der auch Manson erwuchs, werden in eine Linie gestellt.
Suggestiv ist dieser Beginn, verspricht den Zusammenhang paralleler Ereignisse zu erhellen. Zu diesem Zeitpunkt empfindet man Elmar Hess’ folgende, aus Lippenstift, Zigarren und nachgestellten Mao- und Che-Guevara-Fotos gefertigten Arbeiten zum Kalten Krieg noch nicht als Abweg. Sondern man freut sich, dass das große politische Panorama jener Zeit aufgefächert wird.
Die zweite Komponente der 69er folgt sofort: Karin Missy Paule berichtet per DVD über ihr Kommunen-Herkommen; erfrischend klar werden Politisches und Privates verbunden. Dann aber bricht die historische und politische Logik: Jäh tauchen Stefan Micheels Fotos des Meinhof-Grabes auf, als sei die RAF direkt aus der Kommunenbewegung oder dem Kalten Krieg erwachsen. Astrid Prolls 1969 in Paris entstandene Fotos von Ensslin und Baader folgen. Die Aufnahmen sind so professionell wie dekorativ, und man fragt sich, warum die Schau plötzlich über die Medialisierung der RAF-Gründer spricht statt über Politik.
Wie eine mumifizierte Reminiszenz wirkt auch Peter Friedls Neon-Logo der „Neuen Straßenverkehrsordnung“, eine Anspielung auf das heimliche RAF-Programm von 1971. Vermutlich hat man darauf spekuliert, dass der Slogan, in den Ent-Politisierungsfilter Museum gesteckt, zum harm- und folgenlosen Wortspiel mutiert. Oder ist dies ein gewollt dämonisches Zitat? Zum Ambiente passen würde diese Lesart, tönt doch aus der Ecke Bruce Naumanns Video „Tuned D.E.A.D.“, ein dissonanter Violin-Akkord. Spiel mir das Lied vom Tod, sagt dieser Raum. Revolution und Tod gehören zusammen. Aber diese Information ist nicht neu. Und führten die RAF-Parolen versehentlich zum Tod, oder war ihnen der Tod von vornherein inhärent? Die hier kombinierten Artefakte lassen es offen.
Was aber soll aber mitten in diese Überlegungen hinein George Grosz’ „John, der Frauenmörder“ sowie Meister Franckes „Christus als Schmerzensmann“ von 1435? Zwar sind die Bezüge zu Manson klar; Mord und die Selbststilisierung Mansons als reinkarnierter Christus und Satan klingen an. Doch die Verbindung hinkt, denn die ursprüngliche Ikonografie lautet anders: Die mittelalterlichen Schmerzensmann-Bilder sollten die Identifikation mit dem leidenden Christus befördern. Soll man sich in der Hamburger Schau folglich in Manson einfühlen, der andere morden ließ und sich bis heute unschuldig fühlt?
Gewagte Assoziationen allesamt, recht beliebig außerdem, denn die Schau hält keins der angebotenen Themen durch: Weder Gewalt noch Schmerz noch Tod sind Spuren, denen die Ausstellung verlässlich folgt. Auch fokussiert sie nicht die Paranoia des rassistischen, dem Satanskult frönenden, mit Hakenkreuzen provozierenden Manson. Und sie wirft nur flüchtig die Frage auf, wieso die Friedfertigkeit der Flower-Power-Bewegung in Gewalt umschlug. Anhand der Installation Lutz Dammbecks zum Beispiel, der eine kybernetische Maschine baute, in der Mäuse Alu-Würfel in Unordnung bringen sollen. Die Frage dahinter: Lässt sich das Verhalten von Lebewesen steuern, und wo setzt Gewalt an. Eine vage Verbindung zu Manson, der die Hollywood-Mörderinnen ferngesteuert haben soll in einer Zeit, in der auch die CIA systematisch mit der Wirkung von Drogen auf menschliches Verhalten experimentiert haben soll. Auch wäre zu eruieren, ob auch die Manson-Kommune Objekt solcher Experimente war, wie manche glauben. Aber die Ausstellung bleibt im Ungefähren. Sie folgert nichts aus ihren eigenen Thesen, als habe sie mittendrin den Mut verloren.
Zudem tritt neben solche soziologischen „großen Würfe“ immer wieder eine Kleinteiligkeit, die als Zoom gedacht sein mag, so aber nicht funktioniert. Die naiven Rechtfertigungen der Manson-Anhängerinnen hat etwa Susanne Klein auf ihrer DVD konterkariert, auf der imitierte Manson-Girlies über die „Notwendigkeit des Tötens“ sprechen. Auch hat sie Quilts mit dem Porträt der Täterin Susan Atkins genäht. Sie ähneln jenen, die Atkins inzwischen wohltätig im Gefängnis näht.
Das ist eine interessante Assoziation – aber worauf will man hinaus? Und was haben Till Gerhards Porträts der Manson-Family und Douglas Gordons Rockstar-Porträts gemeinsam – abgesehen davon, dass sie die Atmosphäre jener Jahre einzufangen suchen? Und wo ist – abgesehen von einer ohnehin in der Kunsthalle installierten Kienholz-Arbeit – das Thema Vietnam geblieben, das damals weit wichtiger war als Manson? Nein, man hat es nicht leicht mit dieser Schau, die wirkt, als hätten einen die Kuratoren zwar in ihre Recherche-Werkstatt, nicht aber in deren Resultate schauen lassen.
Ein bisschen wach wird man in einer fernen Ecke allerdings doch: bei Thomas Kunzmanns Video „killer powered by pop“, das RAF und Manson verschmelzt: Wie in einer Endlosschleife folgen Ensslin-, Baader- Buback- und Manson-Fotos aufeinander, unterbrochen von Listen der Ermordeten. Das alles untermalt ein 70er-Jahre-Soundtrack, als sei all dies so harmlos wie unvermeidlich gewesen. Zwar soll die Arbeit „keine Relativierung, keine Verharmlosung, keine Vertuschung“ sein, so der Untertitel. Auch im Katalogtext wird dies betont. Aber man misstraut den Bekenntnissen. Denn es scheint, als wüssten Künstler und Kuratoren durchaus, dass dieser Arbeit – so medienkritisch sie gemeint sein mag – die klare Brechung fehlt und dass sie auch umgekehrt gelesen werden kann: Als gewollt lässiges Aufgreifen eines brisanten Themas und als Spiel mit dem Entsetzen des Betrachters, das aber nirgends hinführt. Oder – vielleicht doch. In die Diskussion über die Kluft zwischen Ethik und Ästhetik zum Beispiel. Solchen Diskurs anzustacheln: Das ist das eigentliche Verdienst dieser Schau.
Die Ausstellung „Manson 1969. Vom Schrecken der Situation“ ist bis 26. 4. in der Hamburger Kunsthalle zu sehen.
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