Ein Draht gegen 100.000 Ampere

An einem Sommergewittertag blitzt es rund 10.000 Mal über Norddeutschland. Blitzableiter helfen gegen Brand und Angst. Im Rundum-Wohlfühl-Paket darf der Überspannungsschutz nicht fehlen. Das kostet entsprechend

taz ■ Es rummst und kracht und zischt, Regen peitscht gegen die Fensterscheiben, gleißend hell zuckt es durch den wolkenschwarzen Sommerhimmel – endlich ist es da, das erlösende Gewitter am Ende eines quälend schwülen Tages.

„Wenn es an einem Wochenende ordentlich bollert und gewittert, dann rufen am nächsten Tag die Leute von sich aus an und fragen nach Blitzableitern“, sagt Kay Sprenger. Er montiert Blitzschutzanlagen für eine Firma in Weyhe-Leeste. Und was ist dran, am Schutz gegen den himmlischen Strom? Kann ein Stück Aluminiumdraht tatsächlich etwas gegen über 100.000 Ampere ausrichten? Immerhin fliegt eine durchschnittliche Haussicherung bei zwölf Ampere raus, so dass Waschmaschine, Mixer und Föhn verstummen. Ein Draht mit acht Millimetern Durchmesser kann offenbar so sicher Blitze fangen und ableiten, dass alle öffentlichen Gebäude mit entsprechenden Gerätschaften ausgestattet sein müssen, „wegen der Sorgfaltspflicht“, erklärt Bauklempnermeister Olaf Gartelmann von einer Bremer Dachdeckerfirma. Wer unterm anheimelnden Reetdach lebt, muss ebenso einen Blitzschutz installieren. Die Brandgefahr ist groß und ohne Blitzableiter zahlt die Versicherung keinen müden Cent. Private Durchschnittshausbesitzer brauchen keine Drähte und Blitzfangstangen auf dem Dach, auch nicht für die Versicherung. Sie müssen selbst wissen, ob sie mindestens 2.000 Euro dafür auf den Tisch legen wollen. Bauklempnermeister und Hausbesitzer Gartelmann kommentiert: „Die Chance, dass der Blitz ausgerechnet mein Haus trifft, ist doch ziemlich gering.“ Die Orientierung an der Umgebung helfe nur wenig. „Bloß weil mein Haus neben einer Kirche steht, heißt das nicht, dass der Blitz in den Turm schlägt“, sagt er. „Der Blitz schlägt da ein wo er will.“

In Grundzügen ist die Technik seit 250 Jahren bekannt: 1752 gelang es dem Amerikaner Benjamin Franklin bei einem aufkommenden Gewitter aus einer aufgestellten Metallstange Blitze zu ziehen, 1766 stellte man den ersten isolierten Blitzableiter auf. Heute hat man die Technik zum Gebäudeschutz weiterentwickelt. Das Grundprinzip aber, dass Metallstangen die Blitze „fangen“ und in den Boden leiten, verändert sich nicht.

Sicherlich beruhigt die Installation eines Blitzableiters ängstlichere Gemüter. Die sollten aber wissen, dass ein äußerer Blitzschutz nicht reicht, wenn die himmlische Entladung tatsächlich ins Haus kracht. Es brennt zwar nicht gleich. Aber die enorme Spannung, die am Gebäude entlangjagt, hat großes Zerstörungspotenzial. Doch auf die mahnenden Worte der Eltern hören und die Stecker aus der Dose ziehen, wenn es in der Ferne grummelt? „Damit schützt man Fernseher oder Computer“, sagt Monteur Sprenger. Die Hauselektrizität kann aber komplett in Mitleidenschaft gezogen werden. Dagegen helfen Überspannungsschutzgeräte, die je nach Kompliziertheitsgrad für rund 750 Euro zu bekommen sind.

Für Blitzophile und andere Interessierte dürften Entwicklungen der Uni Hannover von Interesse sein: Seit ein paar Monaten haben die Meteorologen ein neues Blitzortungssystem in Betrieb. Es kann nicht nur auf der Erde einschlagende Blitze messen, sondern auch schon vorher die gesamte elektrische Aktivität in Gewitterwolken wahrnehmen. Eine weit vorausschauende Blitzvorhersage sei zwar noch nicht möglich, aber Forscher Ullrich Finke hofft, schon bald Vorhersagen machen zu können, wie stark einzelne Gewitterwolken blitzen werden, wenn sie etwa fünf Kilometer vor einem bestimmten Stadtteil in der Luft liegen. „Das dürfte Flughafenbetreiber und auch Wassersportler interessieren“, sagt der Meteorologe. „Oder wenn ich wissen will, ob ich ein Fußballspiel abbrechen muss.“ Oder ob man den Stecker aus der Dose zieht. Ulrike Bendrat