Tariflos an die Tafeln

Senat und Gewerkschaften unterzeichnen Vereinbarung für öffentlichen Dienst: Alle arbeiten weniger für weniger Geld. Nur für Lehrer gilt der neue Tarifvertrag nicht. Sie müssen weiter mehr arbeiten

von STEFAN ALBERTI

Berlin hat einen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Ganz Berlin? Nein. Eine kleine Berufsgruppe bleibt ausgenommen. Die am frühen Freitagmorgen unterschriebene Vereinbarung, die auf dem Tausch Freizeit für Geld basiert, gilt für 71.000 Arbeiter und Angestellte, nicht aber für die 4.000 angestellten Lehrer. Laut Deutschem Gewerkschaftsbund ist eine solche Regelung zumindest aktuell einmalig. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die ihre Forderungen nicht durchsetzen konnte und den Vertrag deshalb nur für Erzieher unterschrieb, kündigte eine Protestdemo am 15. August an und und schloss punktuelle Streiks nicht aus.

„SR2l“ heißt das entscheidende Kürzel. Es steht für die Lehrer-Sonderregelung, die das Land laut Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) „unter dem Strich“ nichts kosten soll. Knapp einen Monat hatte sich der erneute Streit hingezogen, nachdem am 1. Juli schon alles klar schien. Vom angeblichen Durchbruch aber hatten Senat und GEW schnell Unterschiedliches in Erinnerung. Die GEW beteuerte, es sei nicht klar gewesen, dass es bei der im Januar verhängten Arbeitszeiterhöhung für Lehrer bleibe. „Natürlich war das klar“, konterte Wowereit. Zudem pochte die GEW auf 255 neue Lehrer. Auch diese Zusicherung bestritt der Senat. Beides sei für das Land nicht zu finanzieren.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und die Polizeigewerkschaft GdP hatten schon vor der abschließenden Runde erkennen lassen, dass sie den Tarifvertrag nicht an der Lehrerfrage scheitern lassen würden. Für die 4.000 angestellten Lehrer gelten nun weiter die alten Regelungen des inzwischen neu verhandelten bundesweiten Tarifvertrags. Bei Neueinstellungen kann der Senat Einzelverträge zu schlechteren Bedingungen abschließen, etwa ohne Weihnachts- und Urlaubsgeld. Das Land war im Januar aus den kommunalen Arbeitgeberverbänden ausgestiegen, um den folgenden Tarifabschluss zu umgehen.

Mit Peitsche und Zuckerwürfeln posierend, kam Wowereit gestern zu einem Gespräch mit Journalisten, um den Abschluss aus seiner Sicht zu schildern. Zufrieden gab sich der Regierende und sprach von einem „fairen Kompromiss“ zwischen Land und Gewerkschaften.

Weit weniger glücklich äußerte sich die GEW, die weder mehr Lehrer noch kürzere Arbeitszeiten durchsetzen konnte. Der Senat habe sich keinen Millimeter bewegt, während man selbst zu Zugeständnissen bereit gewesen sei. Senatssprecher Michael Donnermeyer sieht das anders: „Uns kann keiner vorwerfen, dass wir uns nicht genug bewegt haben.“ Aussage gegen Aussage? „Das stimmt nicht“, sagt GdP-Chef Schönberg, „die GEW hat sich bis an die Schmerzgrenze bewegt, und das sage ich nicht aus gewerkschaftlicher Solidarität.“ Richtig glücklich war auch er nicht, „schließlich ist es der erste Tarifabschluss, bei dem dem Beschäftigten weniger haben als vorher“. Als entscheidend aber nannte er den nun bis 2009 festgeschriebenen Schutz vor betrieblichen Kündigungen.

Gleich nach Tarifabschluss war bei der GEW von Streik die Rede, um die Forderungen noch durchzusetzen. „Wir sind jeder Zeit streikbereit“, sagt GEW-Vize Ilse Schaad auch noch mit ein paar Stunden Abstand. „Unsinnig“ nannte sie es jedoch, von einem flächendeckenden Streik zu sprechen: Den 4.000 angestellten stehen 27.000 beamtete Lehrer gegenüber, die nicht streiken dürfen. Schaad deutete Aktionen an Schulen mit vielen Angestellten an, etwa an den berufsbildenden Schulen. Wowereit gab sich offen für neue Lösungen, solange die nichts oder wenig kosten, schränkte aber ein: „Viel Spielraum sehe ich da aber nicht.“