Belgien hat einen neuen Massenmörder

Der in Belgien lebende Franzose Michel Fourniret hat neun brutale Morde gestanden, zumeist an entführten und vergewaltigten Mädchen und jungen Frauen. Seine Frau denunzierte ihn unter dem Eindruck der Urteile gegen Marc Dutroux

AUS BRÜSSEL FRANÇOIS MISSER

Der Prozess gegen den belgischen Pädophilen Marc Dutroux hat die Aufklärung einer anderen großen Affäre ermöglicht: die des französischen Serienkillers und Massenvergewaltigers Michel Fourniret, dessen Opfer zumeist ebenfalls Minderjährige waren.

Der 62-jährige Holzfäller, Sohn eines Stahlarbeiters, war bereits vor über einem Jahr im belgischen Ciney festgenommen worden, nachdem er am 26. Juni 2003 versucht hatte, ein 13-jähriges Mädchen zu entführen. Er blieb in Untersuchungshaft. Am 21. Juni 2004 fielen die Urteile im Fall Dutroux. Die Ehefrau Michèle Martin wurde als Komplizin ihres Mannes Marc Dutroux zu harten Haftstrafen verurteilt. Das bewog Founirets Ehefrau Monique Olivier dazu, am Tage danach zur Polizei zu gehen und zu sagen, ihr noch immer inhaftierter Mann sei für die Entführung und Tötung von neun Menschen verantwortlich.

Die belgische Justiz wusste bis dahin lediglich, dass Fourniret 1984 wegen Unzucht an Minderjährigen und Vergewaltigung unter Gewaltanwendung in der Pariser Region verurteilt worden war. 1987 war er wieder freigekommen. Als Fourniret 1992 mit seiner heute 55-jährigen Frau nach Belgien zog, lag dort nichts gegen ihn vor. Sie ließen sich im Ort Sart Custinne nieder und bekamen Anfang 2003 sogar Arbeit in der Kantine der Schule.

Nun aber wurde Fourniret aufgrund der Aussagen seiner Frau vorgeladen und gab nach und nach alle neun Morde zu. Vier Opfer sind inzwischen tot aufgefunden worden: Fabienne Leroy (20, verschwunden im französischen Mourmelon am 4. August 1988), Natacha Danais (13, verschwunden in Rezé bei Nantes am 21. November 1990), Célie Saison (18, verschwunden am 16. Mai 2000 in Charleville-Mézières), und Mananya Thumpong (13, verschwunden im französischen Sedan am 5. Mai 2001). Natacha Danais’ Leiche hatte zahlreiche Stichwunden.

Drei der Leichen befanden sich im Park des Schlosses Sautou bei Donchéry in den französischen Ardennen. Sie waren drei Meter tief vergraben. Fourniret hatte das 15 Hektar große Grundstück, auf dem vor dem Ersten Weltkrieg sogar der Kronprinz des Deutschen Reiches zu Gast war, 1988 gekauft.

Noch nicht entdeckt wurde unter anderem die Leiche von Farida Hamiche, verschwunden im November 1990. Sie war die Freundin eines Mithäftlings von Fourniret während seiner Haftperiode 1984–87, Jean-Pierre Hellegouarch, der als Angehöriger der linksextremen französischen Terroristengruppe Action Directe galt. Sie kam öfter ins Gefängnis zu Besuch und freundete sich mit Fourniret an. Als dieser freikam, wollte Hellegouarch, dass er seiner Freundin helfen sollte, den verborgenen Geldvorrat von Action Directe aufzufinden. Aber Fourniret, so belgische Zeitungen, brachte sie stattdessen um. Ein Jahr danach kaufte er das Schloss von Sautou – ob mit dem Geld von Action Directe, steht noch nicht fest.

Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Die französische und die belgische Polizei wollen noch klären, ob Fourniret nicht auch an weiteren ungeklärten Mordfällen beteiligt war. Sicher ist, dass Fourniret nicht mit Dutroux vergleichbar ist. Dutroux sperrte seine Opfer monatelang ein und vergewaltigte sie mehrmals; Fourniret überfiel sie einmal und tötete sie nach wenigen Tagen, meist durch Erwürgen. Fournirets Opfer waren zumeist älter als die von Dutroux, und sein Vorgehen war heimtückischer. Er trat auf sie zu, fragte sie nach dem Weg, tat so, als würde er die Antwort nicht verstehen, und drängte darauf, ein Stück mitgenommen zu werden. Seine Frau soll geholfen haben, Opfer auszuwählen oder sogar zu entführen, und soll bei einem Mord mitgemacht haben.

Unklar ist, ob Fourniret in Frankreich oder Belgien vor Gericht kommt. Die belgischen Behörden gehen davon aus, dass es Frankreich sein wird, da Fourniret, seine Frau und die meisten Opfer Franzosen sind und die Morde auch in Frankreich begangen wurden. Aber zugleich gibt es in Belgien Skepsis über die Qualität der Polizeikooperation mit Frankreich. Als die belgische Justiz bei der ersten Festnahme Fournirets im Juni 2003 von den Franzosen dessen Polizeiakte verlangte, war da lediglich eine Verurteilung wegen eines gewaltsamen Diebstahlsversuchs aus dem Jahr 1991 erwähnt, nicht die von 1984. Erst später übergaben die Franzosen diese Unterlagen. In Reaktion schlug Belgiens Justizministerin Laurette Onckelinkx am 1. Juli vor, eine EU-weite Anklagebehörde und EU-weite Polzeiakten einzurichten und gemischte Ermittlungsteams einzusetzen.