: Hungerstreik gegen neue Atommeiler
Frankreichs Parlament beschließt den Bau eines neuen Atommeilers vom Typ EPR. Drei Atomkraftgegner wollen dies unbedingt verhindern und hungern aus Protest seit zwei Wochen. Auch Siemens ist an dem neuen Reaktor beteiligt
PARIS taz ■ Mit kollektivem Fasten protestieren drei Franzosen in Paris gegen die Atomlobby: Michel Bernard (46), Dominique Masset (51) und André Larivière (56) haben das Essen am 21. Juni eingestellt. Ihr Ziel: Sie wollen den Bau des ersten Reaktor neuen Typs, des EPR, in Frankreich verhindern und französische Forschungsgelder für die Atomkraft in die Erkundung der Erneuerbaren Energien umlenken.
In dem Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) sieht die hiesige Atomindustrie ihre Zukunft. Das gilt sowohl für das federführende französische Unternehmen Areva als auch für den zu einem Drittel am EPR beteiligten Siemens-Konzern. Der EPR ist eine Weiterentwicklung des aktuellen Druckwasserreaktors, der durch einige Änderungen sicherer als sein Vorläufer sein soll. Areva braucht nun einen ersten Reaktorstandort, um die EPR-Technik demonstrieren zu können.
Die Hoffnung: Die neue Technik könnte beim Ersatz französischer Meiler im großen Stil zum Einsatz kommen. Interessant ist auch der chinesische Markt, wo das Regime bis zum Jahr 2020 zusätzliche Atomkraftwerke mit 36.000 Megawatt Leistung einplant. Das entspricht dem Bau von 25 bis 36 neuen Atommeilern. „Für vier neue Aufträge bis zum Ende dieses Jahres sind wir gut platziert“, erklärt Arvea-Chefin Anne Lauvergeon optimistisch.
Die drei Männer, die in Paris fasten, sind alte Recken der Anti-AKW-Bewegung. Seit den Siebzigern protestierten sie immer wieder gegen die zivile wie militärische Nutzung der Atomkraft – in Frankreich, Deutschland und sogar in Japan. Das vom französischen Parlament Ende Mai beschlossene „Energierahmengesetz“ rief die drei wieder auf den Plan: Die VerfechterInnen der Atomindustrie, die bei Konservativen wie Linken überwiegen, ebneten damit dem Bau des ersten EPR in Frankreich den Weg. Finanzminister Nicolas Sarkozy fordert den Stromkonzern EDF auf, bis zur Sommerpause einen geeigneten Standort vorzuschlagen. Falls der rund 3,2 Milliarden Euro teure EPR zustande käme, wäre es der erste Reaktorneubau in Frankreich seit 22 Jahren. Zur Zeit liefern 58 französische Reaktoren 80 Prozent des französischen Stroms: In Deutschland liegt der Anteil atomaren Stroms gerade mal bei ein Drittel.
Die drei Männer hungern in einer großzügigen Altbauwohnung im Herzen von Paris, die ihnen grüne Politiker aus dem Pariser Stadtrat zur Verfügung stellen. Mitglieder einer für den Anlass gegründeten Organisation (www.vivresansnucleaire.org) übernehmen die Pressearbeit. Ein Akkupunkteur überwacht die Gesundheit der drei. Während grüne Spitzenpolitiker den Hungerstreikenden bereits ihre Aufwartungen machten, ignorieren die großen Parteien den Protest. Auch aus der Regierung kam bislang keine Reaktion, die meisten französischen Medien ignorieren den Protest.
Die drei Männer beirrt das nicht. Das Schweigen der Medien erklären sie damit, dass die Atomindustrie der größte Anzeigenkunde ist und dass zwei französische Rüstungskonzerne, die auch im Atombereich arbeiten, das Kapital von 70 Prozent der französischen Printmedien kontrollieren. Die drei Männer setzen auf jene schweigende Mehrheit der Franzosen, die bei Meinungsumfragen erklären, dass sie aus der Atomindustrie aussteigen wollen. Die wollen sie aufrütteln. „Früher oder später wird dieses Land ohne Atomenergie leben“, gibt sich Michel Bernard sicher. DOROTHEA HAHN
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