Männer weinen heimlich

Wenn „Klein Nemo in Slumberland“ aufgeführt wird, bleibt kein Auge trocken. Im Kulturbahnhof Vegesack werden jetzt die Bühnenbilder gebastelt

An den Wänden der Werkstatt des Kulturbahnhofs Vegesack stapeln sich leuchtend bunt angemalte PVC-Stangen wie fürs Reitturnier, neonfarbene Plastik-Fransen, meterhohe Skulpturen aus Draht und Pappe. An den Tischen hantieren ein paar Menschen mit Kükendraht, Malerkarton und Leim.

Ein weißhaariger Mann klebt Kartonstreifen an ein naturgetreues, geradezu rassiges Schwein aus Pappmaché. Eigentlich wollte ich ein Hängebauchschwein machen“, sagt Herbert Schröter, Architekt und Ex-Bauleiter des Kulturbahnhofs Vegesack, jetzt seit drei Jahren Rentner, und beäugt skeptisch seine Kreation. „Aber jetzt ist es doch eine Laufrasse geworden, das muss ich noch polstern.“

„Klein Nemo in Slumberland“ war ursprünglich eine Comic-Figur von Winsor McCay. Janine Jaeggi und Hans König haben die Geschichte in ein Theaterstück verwandelt, das sie letztes Jahr mit großem Erfolg in den Wallanlagen inszenierten. Dieses Jahr präsentiert der Kulturbahnhof Nemos Traumgeschichte vergrößert und verschönert durch Akrobaten, Zirkuspferde und den Blaumeier-Chor, in Knoops Park. Und dafür laufen jetzt die Vorbereitungen auf Hochtouren: Ehrenamtliche Bühnenbildner gestalten Bauten und Skulpturen aus Holz, Pappmaché, bunten Auto-Waschstraßen-Puscheln und PVC-Stangen.

Es gehört zum Konzept des Kulturbahnhofs Vegesack, Laien und Profis zusammenzubringen. „Das ist ein total fruchtbarer Austausch“, sagt Susanne Claasen, Leiterin des Veranstaltungsbüros und Schauspielerin. Die Bühnenbild-Kreaturen jedenfalls sehen nach Begeisterung, Fantasie und handwerklichem Können aus. Unter der künstlerischen Leitung von Janna Berghoff entstehen Frauenfiguren mit Ornamenten in strahlenden Buntstiftfarben, ein prächtiges Einhorn, monumentale schwarze und weiße Engel und exotische Tiere wie Zyklop-Seedrachen.

Diese bunten Gestalten sollen Nemo auf seinen Traumreisen begleiten und beschützen. Unterstützung hat der träumende kleine Junge auch dringend nötig: Er will endlich zum Palast der wunderschönen Prinzessin vordringen, nach der er sich so sehnt. Doch sein mächtiger Gegenspieler Flip durchkreuzt Nemos Pläne immer wieder. Schließlich erhebt sich sogar die erfolgreiche Blumenthaler Rapperin Sema Mutlu als „Göttin Luna“ für Nemo in die Lüfte und singt die Mondarie aus Antonin Dvořáks Oper „Rusalka“.

Susanne Claasens Erfahrungen mit dem Wechsel der Bremer Rapperin ins klassische Fach sind überwältigend: „Die Mutlu hat vielleicht eine Stimme“, begeistert sie sich, „die geht einem total unter die Haut! Letztes Jahr hab’ ich Männer gesehen, die haben während der Arie heimlich geweint.“

Wer bei der gerade gebauten Mondprinzessin genau hinschaut, entdeckt eine bitterböse Teufelsfratze mit Stirnhorn genau da, wo andere süße Prinzessinnen ihren Hinterkopf haben: Die Schöne ist ein Biest! Das wird auch der Kleine Nemo am Ende seiner Reise noch erfahren müssen. Katharina Müller

Eine Führung durch die Kulissenwerkstatt des Kultirbahnhofs findet am 10. August von 15–17 Uhr statt. Vorstellungen „Kleiner Nemo“ von Freitag (29.8.) bis Samstags (6.9.) Tickets gibt es unter ☎ 0421/35 36 37