Lehrstück aus der Provinz

Das Leben in der Postpostmoderne kann noch Hoffnung machen oder Wie die „Miss Black 2003“, ein Schönheitswettbewerb in Karlsruhe, zu einem Lehrstück für gebildete Skeptiker geriet

von JULIA GROSSE
und GERD BAUDER

Die Badnerlandhalle in Karlsruhe-Neureut ist eines dieser Veranstaltungszentren, in denen Betriebsjubiläen oder Tanzveranstaltungen stattfinden und gelegentlich auch einmal ein Vorstandstreffen nordbadischer CDU-Kreisverbände. Inmitten einer tristen Vorstadtsiedlung steht sie da, eine Mehrzweckhalle, an deren nüchterne Architektur man sich schon am nächsten Tag nicht mehr erinnern kann. Hier sorgt der Hausmeister noch eigenhändig für den Sound. Hier herrscht das Gegenteil von Glamour. Und doch fand gerade an diesem Ort eine Veranstaltung statt, deren eigentliche Maximen Schönheit, Eleganz und das Mondäne sind. In Neureut gab es vor zehn Tagen eine Misswahl. Zum zweiten Mal wurde in der Bundesrepublik eine schwarze Schönheitskönigin gewählt, die „Miss Black 2003“.

„Aufgrund der bestehenden Schönheitsideale haben schwarze Frauen in Deutschland weniger Chancen“, erläutert Organisatorin Patricia Fouda ihre Motivation. Auslöser war für sie die erfolglose Teilnahme einer aus Ghana stammenden Deutschen bei der offiziellen Miss-Germany-Wahl im vergangenen Jahr. Fouda erhofft sich neben einer Stärkung der Präsenz schwarzer Frauen als Modelle in deutschen Agenturen vor allem eine Verbesserung des Miteinanders von Menschen verschiedener Abstammung. Foudas „Miss-Black- Initiative“ unterstützt auch soziale Projekte in Kamerun.

Über das Verhältnis von Deutschen zu Afrikanern sagt sie: „Es gibt vonseiten weißer Deutscher jede Menge Berührungsängste. Daher wollen wir die unterschiedlichen Facetten Afrikas näher bringen.“ So gehörte zum üblichen Schaulaufen in Bademoden und eleganter Abendgarderobe auch die Präsentation traditioneller afrikanischer Kleidung.

Eine Stunde vor Beginn des Wettbewerbs hingen diese Kleider noch unbeachtet im schmucklosen Umkleideraum der Badnerlandhalle. In einem engen Gang hinter der Bühne wurden die insgesamt 26 Kandidatinnen von einer Kosmetikerin geschminkt. Da deren Make-up zu hell war, mussten im Vorfeld noch Produkte für dunklere Haut besorgt werden. Vor der Seitentür hatten sich derweil vor allem männliche Interessierte versammelt. Ein Lokalreporter bahnte sich unbeirrt den Weg in die Garderobe und fotografierte die Mädchen mit einem gigantischen Teleobjektiv beim Umkleiden.

„Was hat der Mann hier zu suchen?“, empörte sich Jil, nigerianisch-deutsche Gymnasiastin aus Leimen. Sie hatte von der Wahl im African Courier gelesen, einem afrikanischen Magazin aus Speyer. Jil findet die „Miss Black“ wichtig, da schwarze Frauen so eine Chance bekämen, als Models in Deutschland bekannt zu werden.

Später am Abend würden sich viele Männer mit Jil fotografieren lassen, sollte sie doch am Ende von der Jury zur Schönsten gewählt werden. Nun wartete sie aber noch in Jeans und ungeschminkt auf ihr Make-up. Neben ihr auf dem improvisierten Schminktisch hockte Miriam, eine Mitbewerberin aus der Dominikanischen Republik, die in Karlsruhe lebt. „Rassismus gibt es hierzulande in allen Bereichen. Nicht nur in der Schule und bei der Arbeit“, stellte sie fest. „Sogar bei Modelagenturen stößt man oft auf rassistische Tendenzen. Schwarze Mädchen werden nicht so oft gebucht.“ Dennoch träumen nicht wenige der jungen Frauen von einer Karriere als schwarzes Model in Deutschland.

Rund anderthalb Stunden später begrüßte in der Halle der Moderator des Abends, Viva-VJ Mola Adebisi, die ersten Gäste mit selbstironischen Klischees. „Typisch Afrika“, so sein Kommentar zur halbstündigen Verzögerung des Showbeginns. In den Reihen entdeckte man eine interessante Mischung aus Vorstadtjugendlichen, schwarzen und weißen Rentnern, schwarzweißen Paaren und afrodeutschen Familien. Vielleicht führte sie vor allem die Suche nach Glamour an diesem Samstagabend in die Neureuter Mehrzweckhalle, denn das Gros hatte sich dem Anlass entsprechend gekleidet. Viele Frauen waren in Abendroben gekommen, die Männer trugen dunkle Anzüge. Und als dann die Kandidatinnen lächelnd in Bademoden auf der Bühne standen, da erinnerte man sich für einen Augenblick an die Bilder pompöser Misswahlen in den Hiltons dieser Welt.

Im speziell abgeteilten VIP-Bereich der Badnerlandhalle saß die sechsköpfige Jury und bewertete das Auftreten der Mädchen nach gewohnten Kriterien. Neben solch erwartbaren, üblichen Verdächtigen, wie Exfußballprofi und DSF-Moderator Anthony Baffoe, dem Topmodel Tausi Likokola oder dem Designer Imane Ayissi fand sich unter den Bewertenden indessen auch Ekpenyong Ani wieder. Ani ist Geschäftsführerin des feministischen Verlags Orlanda und Mitglied der Initiative schwarzer Frauen „Adefra“. Alice Schwarzer trifft Verona Feldbusch? „Bei dieser Wahl geht es nicht zuletzt auch um einen Ausdruck von Empowerment schwarzer Frauen“, unterstrich Ani. „Und das ist auch eines der Ziele unseres Vereins.“

Doch inwiefern kann die „Miss Black 2003“ zur Emanzipation schwarzer Frauen in Deutschland beitragen, wenn Frauen Anerkennung auch hier vor allem über gutes Aussehen erlangen? Ungeachtet solcher Fragen waren die nach den ersten Runden verbliebenen Kandidatinnen mittlerweile beim „Talentwettbewerb“ angelangt. Gefordert wurden nun Tänze aus der eigenen Heimat. Allerdings lag die, wie sich bei der Vorstellung der jungen Frauen in der Eingangsrunde herausgestellt hatte, für manche in Uganda oder der Dominikanischen Republik, während andere Baden-Baden, Wuppertal oder Neuss angaben. Einige bezeichneten auch Deutschland sowie ein afrikanisches Land als ihre Heimat. Und so geriet der Talentwettbewerb weniger zur Schau traditionell afrikanischer Tänze als vielmehr zu einem Patchwork popkultureller bis folkloristischer Fetzen von Kultur.

Ein Mädchen in Leopardenoptik hatte einen afrikanischen „Kriegstanz“ zur House-Version eines Miriam-Makeba-Hits einstudiert, ein anderes trat als Jennifer Lopez zum Vollplayback auf, während wieder ein anderes Mädchen nach seiner Lambada zu aktuellem MTV-Ragga tanzte. Eine Vierte, die nordbadische Fechtmeisterin, focht gar zu HipHop von Aaliyah. Da passte es freilich auch ins Bild, dass auf der Menükarte des Abends das Wiener Schnitzel neben dem ghanaischem Hähnchen stand.

Doch machten einen diese Widersprüchlichkeiten auch ein wenig ratlos.

Ganz ließen sich die zu vielen, zu komplizierten Ebenen dieser Veranstaltung irgendwo in der Provinz nicht entziffern. Denn der real existierende Multikulturalismus, wie er sich an diesem Abend darstellte, schert sich wenig um seinen theoretischen Überbau. „Multikulti“ funktioniert einfach. Tatsächlich machte die „Miss Black 2003“ streckenweise sogar Spaß. Dabei geriet letztlich zwar die Frage, ob schwarze Frauen in Deutschland nun eine Misswahl zur Emanzipation brauchen, in den Hintergrund. Andererseits war in der Badnerlandhalle ein Raum entstanden, in dem eine Welt fernab von Rassenschranken tatsächlich greifbar schien.

An diesem Abend wirkte allerhöchstens noch der Glamour befremdlich. Schwarzsein, das wurde klar, ist genauso wie Weißsein deutsche Normalität. Genauso wie der Alltag zwischen Mehrzweckhallen, Vorstadtsiedlungen und der Sehnsucht nach einer glitzernden Welt. Die „Miss Black 2003“, ein Lehrstück aus der Provinz.