Der Mann aus dem Süden, den auch Joe Sixpack wählt

John Edwards, glänzender Redner, charismatischer Stimmenfänger, Anwalt des kleinen Mannes, ergänzt Kerry prächtig. Die Gefahr: Er könnte dem Boss die Show stehlen

WASHINGTON taz ■ Er war der Wunschkandidat vieler Demokraten. Befragt, wer Bush-Herausforderer John Kerry als „Running Mate“ zur Seite stehen solle, antwortete in den vergangenen Wochen eine deutliche Mehrheit der Parteibasis: John Edwards.

Spätestens seit seinen umjubelten Auftritten während der Vorwahlen und seinem wackeren Abschneiden in einigen Bundesstaaten gilt der 51-jährige Senator aus North Carolina als aufstrebender Politstar.

Kaum jemand kann ein Publikum so sehr begeistern wie Edwards. Die Leute sind angetan von seinem jugendlichen Charme, der viele an John F. Kennedy erinnert. Er ist zweifelsohne der beste Rhetoriker unter den Demokraten. Seine Sprache ist klar und einprägsam. Kaum jemand wagt es wie er, die sozialen Brüche und das Armutsproblem der USA unverblümt zu benennen. Doch seine Botschaft bleibt stets optimistisch, wenn er das Bild von einer sozial gerechteren Gesellschaft zeichnet. „Wir können ein besseres Amerika aufbauen“, ruft er von der Bühne. Am Ende ist der Saal fast immer aus dem Häuschen.

Seine Qualitäten galten jedoch zugleich lange Zeit als größtes Hindernis für den Posten des Vizepräsidenten. Die Schlüsselfrage unter den Wahlkampfstrategen der Demokraten lautete, inwieweit er mit seiner Ausstrahlung dem spröden und oftmals gestelzten Kerry nicht die Show stiehlt. Überdies werden ihm Ambitionen für eine Präsidentschaftskandidatur für 2008 nachgesagt.

Auch galt das persönliche Verhältnis der beiden während der Vorwahlen als eher frostig. Kerry wurde Eifersucht über den Shootingstar nachgesagt. Ferner zweifelte er an dessen politischer Erfahrung nach lediglich vier Jahren im Kongress. Edwards wiederum, im Versuch, sich von Kerry abzugrenzen, attackierte den Senator aus Massachusetts für dessen wirtschaftspolitischen Vorstellungen, die Jobs in den USA vernichten würden. Zudem erlaubte sich der Kriegsveteran Kerry einige arrogante und unfeine Bemerkungen über die mangelnde Militärkenntnis Edwards’.

Doch all das ist nun Schnee von gestern. Für Kerry haben bei der hierzulande fast als Wissenschaft betriebenen Pro-und-contra-Rechnung für einen „Running Mate“ die Vorteile Edwards und der Zugewinn für ihn selbst überwogen.

Da ist neben Wählermobilisierung zunächst sein innenpolitischer Fokus im Gegensatz zu Kerrys außen- und sicherheitspolitischer Erfahrung. Edwards haftet zudem, trotz seiner Amtszeit als Senator, nicht der Ruf an, ein Washington-Insider zu sein, der dem Alltagsleben von Joe Sixpack entrückt ist. Durch seine Herkunft und seinen Karriereweg verkörpert er – anders als der patrizierhafte Kerry – den klassischen „American Dream“: Der Sohn einer armen Textilarbeiterfamilie im rückständigen South Carolina schaffte den Sprung an die Universität, studierte Jura, gründete eine Rechtsanwaltspraxis und spezialisierte sich auf Fälle, in denen Leute durch ärztliche Fehlentscheidungen zu Schaden kamen. 1996 wurde er zu einem der besten US-Anwälte und Strafverteidiger gekürt, was ihm erstmal landesweite Beachtung schenkte.

Obwohl er alsbald Millionen verdiente, blieb ihm das Image des Anwalts für den kleinen Mann erhalten. Dem politischen Außenseiter gelang 1998 der Einzug in den Kongress, wo er sich auf Bildungs- und Gesundheitspolitik konzentrierte. Rückendeckung bekommt er daher vor allem von Lehrerorganisationen und Gewerkschaften.

Einen weiteren Bonus erhofft sich der liberale Neuengländer Kerry durch den Südstaaten-Faktor. Hier im überwiegend ländlichen und weiterhin stark segregierten Amerika, wo die Demokraten nur schwer die konservativen Hochburgen erobern können, soll Edwards als Stimmenfang fungieren.

Viele Demokraten hoffen für die verbleibenden drei hitzigen Wahlkampf-Monate vor allem, dass Edwards’ Charisma, Lebendigkeit und Gelassenheit ein wenig auf Kerry abfärbt. Ansonsten könnten die Unkenrufer Recht behalten, die davor warnen, dass sich die Wähler am Ende fragen, warum das Spitzenduo nicht Edwards/Kerry heißt.

MICHAEL STRECK