Helden und Helfer

Als erstes großes Radrennen nach der Tour dienen die HEW-Cyclassics den Profis als wichtige Kontaktbörse

HAMBURG taz ■ Es geschah am helllichten Tag vor ziemlich genau drei Jahren. Da beobachtete ein Textilunternehmer aus Essen, wie die von ihm finanzierte zweitklassige Radsportequipe bei den Hamburger HEW-Cyclassics mal wieder in allen Kategorien unter „ferner liefen“ landete und beschloss, dass sich dies dringend ändern müsse. Gedacht, getan: Nur wenig später hatte Team Telekom, bis dahin deutscher Monopolist in der Weltspitze des Radsports, mit dem Geld von Günther Dahms und dem aufgerüsteten Team Coast endlich die von Medien und Fans lang ersehnte Konkurrenz im Nacken.

Coast ist inzwischen längst den Bach runter- bzw. im neu formierten Bianchi-Team aufgegangen, und Coups dieser Kategorie werden nicht jedes Jahr ausgeheckt am Rande des einzigen deutschen Weltcuprennens an der Elbe. Olaf Ludwig, Exprofi und jetzt Pressemann beim Team Telekom, glaubt gar, die Cyclassics seien „viel zu lang und viel zu wichtig“, als dass „drumherum noch Zeit bleibt, um über Verträge zu sprechen“, zumal sich „die Fahrer ja laufend überall sehen“ würden. Dem hält Jörg Ludewig entgegen, dass das Hamburger Rennen „als Kontaktbörse schon wichtig ist, weil da zum ersten Mal nach der Tour alle großen Teams beieinander sind“, man könne dort zumindest „eine Basis legen in Gesprächen“. Für den 27-jährigen Profi aus dem italienischen Team Saeco sind die so gut wie abgeschlossen. Trotz mehrerer Angebote ob seines couragierten Auftritts bei der Tour de France, wo sich Ludewig endgültig als Edelhelfer für seinen zeitweilig schwächelnden Kapitän Gilberto Simoni etablieren konnte, wird er wohl auch künftig im roten Trikot des Kaffeemaschinenfabrikanten Kilometer machen.

Wo genau die Zukunft von Jörg Jaksche liegt, ist indes noch ungewiss, auch wenn er sich um selbige kaum Sorgen machen muss, selbst wenn sein Team nach dem Ausstieg von Once keinen neuen Sponsor finden und tatsächlich den Betrieb einstellen sollte. Nach seinem Husarenritt hinauf nach Gap, den nur der schwere Sturz seines Kapitäns Joseba Beloki tragisch ausbremsen konnte, ist „JJ“ gefragter denn je. Da kann es sich der Ansbacher sogar leisten, bei den Cyclassics in diesem Jahr vorzeitig platt vom Rad zu steigen. Doch gerade die Fahrer, die sich anders als Jaksche nicht im Juli in Frankreich zeigen konnten und noch vor einer unsicheren Zukunft stehen, müssen das einzige deutsche Weltcup-Rennen zur Profilierung nutzen

Wie zum Beispiel Raphael Schweda. Der stand 1999, noch im Trikot des Team Nürnberger, sogar schon mal als Zweiter überraschend auf dem Podium der Cyclassics. Im vergangenen Jahr trug Schweda mit einem starken Rennen beim Kopfsteinpflaster-Klassiker Paris–Roubaix wesentlich dazu bei, dass das Team Coast den Top-Club der zehn besten Teams erreichen und damit die Tour-Teilnahme 2003 sichern konnte. Nach der Übernahme durch Bianchi läuft sein Vertrag, der bei Coast bis 2004 fixiert war, aber bereits Ende dieses Jahres aus, Anfragen von anderen Rennställen hat es noch nicht gegeben. „Die Situation ist ja insgesamt nicht so rosig zurzeit, da ist es schon wichtig, sich hier zu zeigen“, sagt Schweda nüchtern. Was er dann immerhin vorübergehend tat, in einer Fluchtgruppe mit dem Weltcup-Spitzenreiter Peter Van Petegem, die aber nicht entscheidend wegkam. Schließlich rollte Schweda im Feld als 80. ins Ziel.

Selbst das war Thorsten Wilhelms nicht mehr vergönnt. Erwartungsgemäß, denn der Sprinter aus Hannover nahm sogar ein hohes gesundheitliches Risiko auf sich, um in Hamburg zu starten und seine Wertigkeit fürs Team Bianchi zu demonstrieren. Wilhelms sprang für den kurzfristig erkrankten Malte Urban ein, obwohl er sich selbst mit einem Meniskusschaden quält, der nächste Woche operiert werden soll. Seine Ambitionen beschränkten sich entsprechend darauf, „die ersten 150 Kilometer zu helfen“, dann stieg er aus. Daneben „hört man sich hier schon um, um seinen Marktwert zu testen“. Wilhelms, gerade schon 34 geworden, würde gern bei Bianchi bleiben. Doch ob alte Verdienste zählen, wenn die Mannschaft im Hinblick auf die nächste Tour de France qualitativ weiter verbessert werden soll?

Das Rennen in Hamburg dominierten im Finale ohnehin die Favoriten, allen voran der angriffslustige Italiener Paolo Bettini. Seine erste Attacke hatte er mit Lance-Armstrong-Helfer George Hincapie geritten, der wohl doch nicht so „müde von der Tour“ war, wie er am Start kundgetan hatte. Seine zweite nach der letzten Passage über den Waseberg führte ihn schließlich an der Spitze eines stark besetzten Quintetts im Sprint mit fünf Sekunden Vorsprung aufs Feld ins Ziel. Vor Davide Rebellín und Jan Ullrich, der angesichts des Jubels, der ihm zuteil wurde, von einem „Gänsehaut-Gefühl“ sprach. Mit seinem Sieg rückte Bettini bis auf drei Punkte an den Weltcup-Führenden Peter Van Petegem heran, der nur 23. wurde und sichtlich beeindruckt war vom Auftritt des Italieners. „Paolo hat jetzt größere Chancen auf den Weltcup als ich“, kommentierte der Belgier. „Er ist momentan einfach der beste Klassikerfahrer.“ JÖRG FEYER