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WATCHING OBAMA (3): ROBERT HABECK SCHREIBT FÜR DIE TAZ NORD EIN TAGEBUCH AUS WASHINGTONAnacostia

ROBERT HABECK, 39, ist Schriftsteller und Parteichef der Grünen in Schleswig-Holstein. Derzeit besucht er Washington auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung. FOTO: DPA

Wenn ich über Washington in den Obama-Tagen berichte, dann will ich auch von Anacostia berichten. In den Zeitungen heute steht, „Obama’s bad week“ und „He shouldn’t bring a knife to a gun fight“. Nun – „bad weeks“ sind in Anacostia Alltag und Messer und Waffen gehören dazu.

Mein Reiseführer, „The Unofficial Guide to Washington“, warnt eindringlich: „Benutzen sie nicht öffentliche Transportmittel.“ „Anacostia liegt im Kriegsgebiet von Auto-Schießereien, Drogenhandel, Gewalt.“ Als Washington 2006 den Titel „Hauptstadt der Morde“ bekam, lag das ganz wesentlich am Stadtteil Anacostia, südwestlich des Potomac. Hier ist die Bevölkerung zu über neunzig Prozent afroamerikanisch, die anderen zehn Prozent sind lateinamerikanisch, Weiße gibt es gar nicht. Seit 1960 wurden hier 3.000 Menschen ermordet.

„Das musst du dir ansehen, wenn du sehen willst, was Obama noch alles leisten muss“, hat mir die taz-US-Korrespondentin Adrienne Woltersdorf gesagt, als wir uns zum Kaffeetrinken trafen (morgen Näheres?). „Aber sieh zu, dass Du wieder draußen bist, wenn es dunkel wird.“

Unter dem Strich ist es nicht so schlimm gewesen, wie ich es mir vorgestellt habe, nicht so dreckig (hier und da zerstreute Sperrmüllhaufen), nicht so kaputt (nur die Autos sind abgewrackt), nie wirklich bedrohlich. Aber ich habe noch nie so viele übergewichtige Menschen auf einem Quadratkilometer gesehen. Und wenn man über eine Krankenversicherung redet, wie es die Demokraten und Obama ja jetzt tun, dann wird man die nur bezahlbar halten können, wenn man den Konnex zwischen Armut und Fettleibigkeit aufbricht, und das bedeutet im Klartext: die Armut beseitigen. Schon in der Metro (ich hab doch die Öffentlichen genommen) waren Jogginganzüge in XXL die dominierende Mode.

Geht man durch Anacostia, dann sieht man: Die USA haben eine Unterschicht – und zwar heftiger, kasernierter und massiver als es in Deutschland absehbar der Fall sein wird. Die Arbeitslosigkeit liegt hier bei 50 Prozent. 77.000 Menschen leben hier. Aus solcher Ansammlung von Armut und Hoffnungslosigkeit sind in Europa vor 200 Jahren Revolutionen entstanden, und die Regierung kann froh sein, dass die Leute in Anacostia sich nur selbst bekriegen. Große Blöcke im Stadtbild Anacostias sind Sozialwohnungen, einer heißt „Skyland“ – es klingt zynisch. Die Sozialwohnungen waren wohl der Kardinalfehler. Man hat, nachdem die Weißen den ersten Vorort Washingtons verließen, der Anacostia mal war, alle Armen hier gesammelt und durch eine Autobahn den Zugang zur Stadt abgeschnitten.

Geht man die Good Hope Road in Anacostia entlang, dann kapiert man, dass man den theoretischen Rassismus, den ideologischen, vielleicht besiegen kann, aber den ökonomischen noch lange nicht. Faktisch ist dies ein Ghetto. Sein Zaun ist unsichtbar. Er besteht aus den Arbeitsbedingungen und der Sozialpolitik der USA. Und wenn Obama es wirklich ernst meint mit „Change“, dann macht er diesen Zaun erst sichtbar und reißt ihn dann ein. Anacostia ist die eigentliche Herausforderung. Die Wirtschaftskrise und der Einbruch an der Börse, hier wirkt das alles nicht bedrohlich, nicht wirklich.

Robert Habeck schreibt für die Heinrich-Böll-Stiftung ein „Diary of Change“ (www.boell.de)

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