Aufbruchstimmung in Griechenland

betr.: „Der Erfolg bei der Fußball-EM wird Griechenland kaum verändern“. Wunder dauern etwas länger“, taz vom 6. 7. 04

Niels Kadritzke, dessen Beiträge ihn regelmäßig als profunden und ernst zu nehmenden Kenner der griechischen Materie ausweisen, ist im konkreten Fall zu widersprechen. Der Sieg Griechenlands bei den Fußball-Europameisterschaften war weder reiner sportlicher Zufall noch steht er beziehungslos zur gesellschaftlichen Situation des Landes. Er widerspiegelt vielmehr eine Aufbruchstimmung, die, vom Ausland unbemerkt, bereits seit Jahren zu verzeichnen ist.

Stärkster Katalysator – wenngleich nicht der einzige – war die Vergabe der Olympischen Spiele an Athen. Beide Ereignisse reflektieren das Bewusstwerden eigener Möglichkeiten in einem Ausmaß, das für griechische Verhältnisse neu ist und demzufolge auch rückwirkende Synergie-Effekte zeitigen wird. Kadritzkes Bezug auf die in Griechenland übliche Klientelwirtschaft als stärkstes Hemmnis für eine grundlegende Veränderung ist ebenso richtig wie falsch. Richtig, weil diese Unsitte leider nicht wegzudiskutieren ist, falsch, weil sich griechische Politik eben nicht mehr darauf reduzieren lässt. Beleg dafür ist die umsichtige Kommunalpolitik der Athener Bürgermeisterin Dora Bakojani sowie der problemlose Regierungswechsel von der Pasok zur Nea Dimokratia. Dass beide Volksparteien in allen entscheidenden außenpolitischen Fragen – wie Verhältnis zur Türkei, die Rolle Athens innerhalb der Europäischen Union, in der Irak-Frage und bezüglich Zyperns – gleiche oder ähnliche Ansichten vertreten, ist bemerkenswert, weil so selbstverständlich nicht.

Die veränderte Wahrnehmung nationaler Verantwortung zeigt sich auch in dem bewussten Verzicht der ND-Regierung auf eine Generalabrechnung mit der Pasok über ihre tatsächlich oder vermeintlich zu verantwortenden Versäumnisse bei der Vorbereitung der Olympischen Spiele. Kaum zu unterschätzende Wirkung – weil identitätsstiftend – haben die beiden sportlichen Großereignisse Olympia und EM-Sieg nicht zuletzt auf die griechische Diaspora. Die bereits seit Jahren zu verzeichnende Rückkehrbewegung aus dem Ausland – nicht nur aus Krisenregionen um den Kaukasus, sondern auch aus wirtschaftlich starken Gemeinschaften wie aus den USA und Deutschland – dürfte mit wachsender Konsolidierung der griechischen Gesellschaft zunehmen. KOSTAS KIPUROS, Leipzig