Absage einer schwierigen Debatte

Weil er eine „Vermischung“ von NS-Opfern und Tätern moniert, sagt der Soziologe Natan Sznaider seinen Auftritt bei der Wehrmachtsausstellung in Peenemünde ab. Grund: Im Begleitprogramm wird auch der deutschen Kriegstoten gedacht

von HEIDE OESTREICH

Es war klar, dass es in Peenemünde knallt. Deshalb ja waren die Veranstalter als besonders mutig gelobt worden, als sie die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ an einen Kultort der Rechten holten. In Peenemünde an der Ostsee war eine Heeresversuchsanstalt der Nazis, hier sollte die zur „Wunderwaffe“ verklärte V2 zur Serienreife gebracht werden. Peenemünde und seine Raketenausstellung ist Touristenattraktion und Wallfahrtsort für Technikfreaks und Rechtsradikale.

Gestern nun sagte der prominente Soziologe Natan Sznaider aus Tel Aviv überraschend die heutige Diskussionsveranstaltung im Begleitprogramm der Wehrmachtsausstellung ab und erhob zugleich ernste Vorwürfe gegen die Verantwortlichen vom Historisch-Technischen Informationszentrum Peenemünde.

Gemeinsam mit dem Hamburger Publizisten Günther Jacob, der ebenfalls an der Diskussion teilnehmen sollte, warf er den Organisatoren vor, das Programm ziele auf „eine Verwischung des Unterschieds zwischen Tätern und Opfern des Nationalsozialismus“. Vor diesem Hintergrund, so schreiben sie, „steht das Risiko, während der Anfahrt, der Übernachtung oder der Abreise von Nazibanden behelligt zu werden, in keinem Verhältnis zu einem politischen Nutzen, für den man sonst bereit wäre, einige Risiken in Kauf zu nehmen“.

Die unterstellte „Verwischung“ biete den Neonazis „eine passende Plattform für ihre eigenen Aktivitäten“. Diese wiederum würden „offiziell heruntergespielt“. Das führe dazu, dass etwa die Referenten des Programms nicht über die Sicherheitsstandards informiert worden seien.

Mit „Verwischung“ meinen die Autoren, dass sich im Programm nicht nur Veranstaltungen wie „Kriegsverbrechen vor Gericht“ oder „NS-Zwangsarbeit in Mecklemburg-Vorpommern“ finden, sondern etwa auch Lesungen von Feldpostbriefen aus Stalingrad. Insbesondere „Die Verwandlung der Deutschen zu Opfern“, ebenfalls Titel einer Veranstaltung, macht den Exreferenten zu schaffen. Unter anderem wird eine „Andacht zum Bombenkrieg“ gehalten; gemeint sind die Angriffe der Alliierten auf das Zentrum der Nazi-Rüstungsindustrie in Peenemünde.

Diese Referenz an das relativ neue Phänomen, dass Deutsche sich auch als Opfer des Krieges entdecken, addieren Jacob und Sznaider zu vielen bekannten Fakten über Usedom und die Raketenausstellung in Peenemünde. Etwa dass diese Ausstellung mit dem Spagat zwischen Technikeuphorie und Grauen auch unangenehme Besucher anzieht. Dass Usedom als „national befreite Zone“ gilt, als Eldorado der Rechten. Und dass die Usedomer Bürger nach wie vor Verständnis für die „Jugendlichen“ zeigen, die sich „missverstanden fühlen“, so zitieren die Autoren Landrat und Bischof.

Alles kein Grund zur Absage, findet der Verantwortliche für die Wehrmachtsausstellung vom Hamburger Institut für Sozialforschung, Peter Klein. Auch er wird angegriffen, weil er sogar ein „Kombiticket“ für beide Ausstellungen zulasse. „Die Raketenausstellung ist überdeutlich selbstkritisch“, so sein Urteil. Er habe kein Problem mit diesem Kontext. Dass der Nationalsozialismus nun langsam historisiert werde und damit auch „Frageverbote“ fielen, wenn es etwa um das Leiden der Deutschen gehe, das „wird sich nicht verhindern lassen“. Gerade darüber werde im Begleitprogramm auch diskutiert. „Sich sofort abrupt abzuwenden ist ein falscher Ansatz“, so Klein. Auch das Historisch-Technische Zentrum bedauerte die Absage. Die Kritik an dem Konzept, so heißt es in einer Presseerklärung, sei „in keiner Weise gerechtfertigt“.