DIE MACHT DER PHARMAINDUSTRIE WIRD NUN DOCH NICHT EINGESCHRÄNKT
: Kontrolle unterlaufen

Die Chefs der großen Pharmafirmen dürfen dem Kanzler auf dem Schloss Lafite des Barons Rothschild nicht nur glaubhaft machen, dass es eine große Gemeinheit ist, die Pillenpreise zu drücken. Sie werden auch zwecks Klärung der Details ins Kanzleramt eingeladen. Und weil das so fruchtbar ist, trifft man sich jetzt regelmäßig.

Das Ergebnis der „Bordeaux-Runde“ vom Dienstagabend ist für die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt an der Oberfläche ein Erfolg: Das Ziel, eine Milliarde Euro einzusparen, wurde erreicht. Zunächst. Diese Milliarde wird die Pharmaindustrie nun voraussichtlich dadurch zur Gesundheitsreform „beisteuern“, dass die Preisdeckelungen zwischen den verschiedenen Arzneisorten hin und her geschoben werden. Für die Versicherten dürfte dabei herauskommen, dass mit ihren Kassenbeiträgen weiterhin sündteure „Innovationen“ bezahlt werden, die mit enormem Reklameaufwand in den Markt gedrückt werden, aber auch nicht besser heilen als die alten Medikamente. Dafür werden aber die Generika, die etwas günstigeren Nachahmerprodukte, dann billiger.

Der wahre Skandal des Abends im Kanzleramt verbirgt sich jedoch eine Schicht tiefer: Die Pharmaindustrie hat durchgesetzt, dass sie weiter mitbestimmen darf, was überhaupt als „Innovation“ gilt. Sie wird mit am Tisch sitzen, wenn die zuständigen Ausschüsse beraten, ob eine Pille einen zusätzlichen therapeutischen Nutzen erkennen lässt und zum Höchstpreis von den Krankenkassen bezahlt werden muss. Und hier werden die Experten von Merck, Aventis und Co schon dafür sorgen, dass jeder Zweifel von der Tischplatte gefegt wird. Das funktioniert allein schon deshalb, weil sich auch Patienten zunehmend dafür einspannen lassen: Suggeriert man etwa Aids- oder Krebskranken, vom neuen Produkt hänge ihr Heil ab, wird sich auch die öffentliche Meinung ganz schnell gegen die Pharmakritiker wenden. In den USA ist das längst zu beobachten.

Seit Jahren kämpfen Gesundheitspolitiker darum, dass der Industrie das Definitionsmonopol darüber entrissen wird, was eigentlich „medizinischer Fortschritt“ ist. Auch die Gesundheitsreform barg Neuerungen, die darauf abzielten, diese Macht der Industrie zu brechen. Doch wieder ist es Big Pharma gelungen, jegliche unabhängige Kontrolle zu unterlaufen: dank eines Kanzlers, der sich dieser geradezu klischeehaft demonstrierten Macht der Industrie prompt gebeugt hat. Sozialhilfeempfänger bekommen keinen Termin bei Schröder, um über die Zumutbarkeit der Gesundheitsreform zu diskutieren. ULRIKE WINKELMANN