Vom Krieg zum Frieden zum Krieg

Liberia droht zum neuen Brennpunkt eines regionalen Kriegeszu werden

von DOMINIC JOHNSON

Als die nigerianischen Soldaten in Monrovia landeten, nahmen sie den Rebellen den Hafen ab und richteten dort ihr Hauptquartier ein. Etwa zwei Wochen später wurde Liberias Präsident ermordet, als Truppen eines Warlords ihn aus diesem Hauptquartier entführten. Einen schlechteren Start hätte es für eine Friedensmission kaum geben können.

Das war 1990, dem Jahr der ersten westafrikanischen Militärintervention in Liberia. Der damalige Präsident Samuel Doe hatte fast sein ganzes Land an die Rebellen unter Charles Taylor verloren, und in der Hauptstadt hatte sich ein dritter Guerillaführer breitgemacht, Prince Johnson. Am 24. August 1990 rückten nigerianische Friedenstruppen in Monrovia ein, die „Beobachtermission der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft“ (Ecomog). Die Friedenstruppe war mitschuldig daran, dass Johnsons Kämpfer am 9. September Präsident Doe entführen und töten konnten: Sie hatte Does Leibwache entwaffnet, Johnsons Truppe aber nicht, und die nigerianischen Soldaten sahen zu, wie Johnsons Rebellen den Präsidenten aus dem Ecomog-Hauptquartier mitnahmen. Doe wurde später vor laufender Videokamera zu Tode gefoltert.

Heute, dreizehn Jahre später, kommen wieder westafrikanische Friedenstruppen unter Führung Nigerias nach Monrovia. Und wieder steht ein Präsident im Kampf gegen Rebellen mit dem Rücken zur Wand. Die Nigerianer haben dem Präsidenten, der heute Charles Taylor heißt, Asyl angeboten. Er ziert sich – und das ist verständlich: Kann er sich in Anbetracht der Ereignisse von 1990 wirklich guten Gewissens in die Hände nigerianischer Truppen begeben? Allerdings: Wenn er nicht geht, werden Liberias Rebellen die Waffen nicht niederlegen, und der Krieg wird weitergehen.

Schon der Ecomog-Einsatz von 1990 brachte Liberia nicht den Frieden, sondern verlängerte seinen Krieg. Sechs Jahre lang schützten die Nigerianer eine schwache Interimsregierung, deren Macht sich nicht über Monrovia hinaus erstreckte, während Rebellenführer Taylor – der sich durch das Zusammenwirken von Ecomog und Prince Johnson bei der Eliminierung Does um seinen Sieg betrogen sah – im Rest des Landes einen parallelen Staat errichtete, bekämpft von Doe-treuen Milizen. Dieser Krieg forderte hunderttausende Todesopfer. Als er 1997 mit dem Sieg Taylors bei freien Wahlen endete, verlegten Ecomog und Taylor ihren Krieg gegeneinander in das Nachbarland Sierra Leone.

Ecomog stand den liberianischen Milizen in der Kriegsführung in nichts nach. Ihre robusten Einsätze forderten zahlreiche Opfer. Und die nigerianischen Friedenstruppen schmuggelten liberianische Rohstoffe und verkauften auch ihr eigenes Benzin an den Gegner, wenn sie von ihren korrupten Generälen nicht bezahlt worden waren. Im Volksmund wurde aus der Abkürzung Ecomog „Every Car Or Moving Object Gone“: Jedes Auto oder bewegliche Ding verschwindet. Von 12 Milliarden Dollar, die Nigeria offiziell für Ecomog ausgab, wanderte der Großteil in die Taschen korrupter Offiziere und Generäle. Die Ecomog-Friedensmissionen in Liberia und später in Sierra Leone wurden zu einer Stütze der Militärherrschaft in Nigeria selbst und diskreditierten das Konzept regionaler Friedenssicherung.

Die neue westafrikanische Friedensmission in Liberia stimmt daher wenig optimistisch. Zudem überschattet in allen Nachbarländern inzwischen Liberias Krieg die Politik.

In Sierra Leone unterstützte Taylor bereits als Guerillaführer in den 90er-Jahren die Rebellenbewegung RUF (Vereinigte Revolutionäre Front), die nach Taylors Aufstieg zum Staatschef 1997 sprunghaft mächtig wurde und eine Zeit lang zusammen mit einer Militärjunta praktisch das Land regierte, bis Nigeria mit einer Ecomog-Intervention 1998 den bis heute amtierenden Präsidenten Ahmed Tejan Kabbah wieder einsetzte. Seit einer robusten britischen Militärintervention 2000 ist die RUF als Rebellenbewegung aufgelöst, ihr Führer Foday Sankoh wurde von den Briten verhaftet und starb letzte Woche. Aber viele ihrer Kämpfer schlossen sich Taylor-treuen Milizen oder Rebellen in Guinea und der Elfenbeinküste an.

In Guinea flammten nach dem Zusammenbruch der RUF in Sierra Leone eigene Rebellionen gegen Präsident Lansana Conté auf, die von Liberia unterstützt wurden. Guineas Armee war 1990 zusammen mit Nigeria an der ersten Ecomog-Intervention in Liberia beteiligt gewesen. Ab 1999 half sie maßgeblich beim Aufbau von Liberias führender Rebellenbewegung Lurd (Vereinigte Liberianer für Versöhnung und Demokratie), deren Führer Sekou Conneh mit der spirituellen Beraterin Präsident Contés verheiratet ist. Von Guinea aus begann Lurd 2001 ihren Vormarsch in Liberia; heute kontrolliert sie den Norden und Westen des Landes und belagert Monrovias Stadtzentrum. Der guineische Präsident ist todkrank, und spätestens zum nächsten Wahltermin Ende 2003 wird es einen destabilisierenden Machtwechsel geben müssen, an dessen Gestaltung zahlreiche Länder ein Interesse haben dürften.

Die Elfenbeinküste ist in Verzahnung mit Liberias Krieg in einen eigenen Bürgerkrieg mit erheblichen regionalen Auswirkungen hineingerutscht. Als Taylor seine Rebellion in Liberia begann, wurde er von der Elfenbeinküste unterstützt, vor allem von ihrem damaligen Armeechef Robert Guei. Dieser putschte 1999, verlor aber 2000 freie Wahlen an den heutigen Präsident Laurent Gbagbo. Der jedoch verlor ab September 2002 die Nordhälfte der Elfenbeinküste an diverse Rebellenbewegungen. Einige davon im Westen des Landes an der Grenze zu Liberia sehen sich als Getreue des 2000 ermordeten Guei. Im Kampf gegen sie hat die Regierung Gbagbo liberianische Milizionäre angeheuert und bei der Gründung der zweitgrößten liberianischen Rebellenbewegung Model (Bewegung für Demokratie in Liberia) assistiert, die heute die Osthälfte Liberias kontrolliert und über die wichtige Hafenstadt Buchanan hinaus Richtung Monrovia vordringt. In der Elfenbeinküste selbst ist unter Überwachung durch eine gemischte Friedenstruppe aus Franzosen und Westafrikanern ein Friedensprozess in Gang gekommen. Doch faktisch bleibt das Land zwischen Regierungs- und Rebellengebiet geteilt – ein Unruheherd.

Angesichts dieser Verflechtungen ist Liberias Krieg nicht nur eine Fortsetzung des Krieges zwischen Warlords aus den 90er-Jahren. Er ist auch ein Machtkampf zwischen westafrikanischen Herrschern. Diese müssen sich internationalen Geldgebern zuliebe zwar formell an demokratische Standards halten, regieren aber zugleich über verarmte Gesellschaften, in denen die Bevölkerung schneller wächst als die Wirtschaftsleistung. Damit nehmen Verteilungskämpfe rapide zu, wobei skrupellose Führer, die um ihre Geschäfte bangen, gerne ethnische Rivalitäten schüren und Loyalität mit der Waffe erzwingen. Für die immer zahlreicheren Arbeitsmigranten und Söldner, die auf der Suche nach neuer Beute von einem Land ins andere ziehen, ist die gewaltsame Aneignung von Produktionsmitteln normal geworden.

Eine Veränderung dieser Zustände ist innerhalb des nationalen Rahmens nicht möglich. Vielmehr droht Liberia nun zum neuen Brennpunkt eines regionalen Krieges zu werden. Zwischen der von Guinea und Sierra Leone unterstützten Lurd und der von der Elfenbeinküste unterstützten Model drohen Kämpfe um die Kontrolle Monrovias, sollte nach Taylors Entmachtung ein Machtvakuum entstehen. Wenn die neue nigerianische Friedenstruppe, der sich später Einheiten aus Ghana, Togo, Benin, Mali und Senegal anschließen sollen, dagegen eingreift, wären fast alle Länder Westafrikas an Liberias Krieg beteiligt, und Frieden würde in weite Ferne rücken. Wie schon 1990.