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: Contergan schläft nicht

„Der Contergan-Skandal“ (ARD, 23.00 Uhr)

Ein Schlafmittel, vermeintlich ohne Nebenwirkungen, das weder süchtig machte noch zum Suizid taugte, aber billig und rezeptfrei zu erhalten war: Für viele, denen das Tempo des deutschen Wirtschaftswunders schlaflose Nächte bereitete, schien mit Contergan Abhilfe geschaffen. Bis zu 20 Millionen Tabletten setzte Chemie Grünenthal seit 1957 pro Monat ab. Wie viel das Unternehmen aus Stollberg bei Aachen allein mit diesem Präparat und seinem Export in 46 Länder verdiente, blieb allerdings stets im Dunkeln.

Kein Geheimnis waren hingegen die nachhaltigen Folgen des Medikaments. Bis zum November 1961, als die Firma auf massiven Druck der Öffentlichkeit das Mittel mit dem Wirkstoff Thalidomid zurückziehen musste, wurden weltweit 12.000 missgebildete Kinder registriert.

In „Der Contergan-Skandal“ blicken Danuta Harrich-Zandberg und Walter Harrich zurück auf eines der düstersten Kapitel der Arzneimittelindustrie. Es begann mit der Biografie des Entwicklungsleiters von Chemie Grünenthal, der in der NS-Zeit medizinische Experimente an Zwangsarbeitern und Häftlingen in Krakau vorgenommen hatte und endete nicht mit dem Aufsehen erregenden Prozess gegen die Firma 1968.

Denn unter anderem Namen sind Präparate dieser Art immer noch im Einsatz – als Medikament gegen die Folgen von Aids oder als Heilmittel für Leprakranke in Brasilien. Geblieben sind deshalb auch die bekannten Risiken, weil auch ausführliche Warnungen auf den Packungen nicht verhindern können, dass schwangere Frauen die Thalidomid-Tabletten einnehmen.

Indem die beiden versierten Autoren neben Betroffenen und Opfern auch Mediziner zu Wort kommen lassen, entsteht das facettenreiche Porträt eines durchaus ambivalenten Produkts. Dass der Schwerpunkt dabei auf Fragen von Moral und Verantwortung im Spiegel unternehmerischer Interessen und Macht liegt, macht diese NDR-Produktion zu einer sehenswerten, informativen Dokumentation über den (skrupellosen) Umgang mit Medikamenten.RAINER BRAUN