Schwermetall im Reinraum

Dokumentarfilmer überprüfen ihren Blick aufs Revier. Ein Symposium in Essen untersuchte das zeitgenössische Bild vom Ruhrgebiet. Wie überall ein Nebeneinander alter und neuer Arbeit

Die Region befindet sich in einem „Dazwischen“, einem Zustand zwischen Zerstören und Aufbauen

VON FRITZ WOLF

Gleichmütig schwenkt die Kamera über das Gelände. Das Bild sieht aus wie auf einem Schlachtfeld. Oder wie ein Planspiel. Die Landschaft, die uns die Kamera zeigt, ist das frühere Gelände des Stahlwerks Rheinhausen und für die Münchner Filmemacher Jens Börner und Winfried Härtl ist es das Schlüsselbild in ihrem Film „Ortwechsel“. Sie zeigen Bilder vom Ruhrgebiet, die mit den gewöhnlichen Bildern dieser Regionwenig gemeinsam haben.

Der Film wurde gezeigt auf einem Symposium in Essen, das den Titel trug “Endlich so wie überall!?“ und danach fragte, welche Bilder vom Ruhrgebiet Dokumentarfilmer zeigen und ob sie die Realität auch abbilden. Denn wie das Ruhrgebiet aussieht, das ist selbst nach 30 Jahren Strukturwandel noch fest im Kopfkino programmiert: Funkenflug, Schlangen aus glühendem Eisen und Männer in Schutzanzügen. Fördertürme, rußgeschwärzte Gesichter.

Auch Börner und Härtl erwiesen den klassischen Bildern ihre Referenz und machten sich dann auf die Suche nach neuer Arbeit. Die fanden sie bei Logport, das nun auf dem Gelände in Rheinhausen steht. Sie fuhren mit ihrer Kamera den Weg eines Gabelstaplers zwischen Hochregalen ab und mussten sich die Frage stellen: „Wie bezeichnet man das, was dort entsteht. Wie nennt man das, was die Menschen dort tun?“

Man nennt es Arbeit, aber den Bildern kann man das Entfremdete dieser Arbeit ansehen. Nicht einmal den Barcode an den Waren können die Menschen lesen. Das tun die Maschinen. Nur wenige Leute arbeiten in der großen Halle, keiner von ihnen war zuvor im Stahlwerk beschäftigt und wenn sie sich einmal etwas näher kommen wollen, gibt die Firma monatlich ein Abendessen aus.

„Ortswechsel“ war einer der wenigen Filme, die sich explizit der Frage stellen, wie denn das aussieht, was da im Ruhrgebiet entsteht. Es ist nicht leicht zu fassen. Die Region befindet sich, so der Dokumentarist Christoph Hübner, in einem „Dazwischen“, einem Zustand zwischen Zerstören und Aufbauen. Und in den Ruhrgebietsfilmen dominiert immer noch der Abriss. „Demolition Entertainment“ nennt Jörg Keweloh vom Medienzentrum Ruhr sein Video, in dem Industriebauten tänzerisch zerfallen und wieder auferstehen, ein impressionistisches Requiem. Die Bilder stammen aus den letzten beiden Jahren. Der Abriss findet noch statt.

Deshalb haben Filme über den Verlust auf ihre Weise recht. Es ist freilich auch viel Ratlosigkeit dabei. Alt und neu verbinden sich nicht. Im Oberhausener Einkaufszentrum Centro arbeitet niemand, der dort zuvor in der Gute-Hoffnungs-Hütte gearbeitet hätte. Und zwischen dem bestens ausgebildeten Malocher in den noch arbeitenden Stahlwerken und den bestens ausgebildeten Spezialisten, die weltmarktfähige Adidas-Schuhe designen, liegen Welten, auch wenn sie alle gleichsam um die Ecke arbeiten. Deshalb vermutlich lässt sich im Film vieles derzeit noch nicht anders erzählen als im Nebeneinander. Dennoch: die neuen Bilder aus dem Ruhrgebiet, so es sie denn gibt, geben kund, dass es eben doch allmählich auszusehen beginnt wie überall. Logistikzentren kennen kein Lokalkolorit und Reinräume auch nicht. Werner Kubny hat für den WDR den Vierteiler „Abenteuer Ruhrpott“ gedreht. Darin sieht man die neue Arbeit im Reinraum einer Chipfabrik. Es müsste schon jemand ein Ortsschild vor die Kamera halten, damit zu sehen ist: dies hier ist Arbeit aus dem Ruhrgebiet.

„Entortung“ und „Ortlosigkeit“ waren denn auch die Schlüsselbegriffe auf dem Essener Symposium. Nicht jeder sieht darin ein Unglück. Für Hübner ist das Ruhrgebiet „auf dem Weg in die Normalität“, er erkennt auch eine Befreiung: „Wir können jetzt Geschichten erzählen ohne diese Last der Zechentürme. Man konnte hier immer nur Ruhrgebietsgeschichten erzählen. Jetzt können wir Geschichten erzählen wie überall.“