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„Hexenkessel“ im Frauenknast

Inhaftierte Frauen schreiben in der JVA Lichtenberg die Zeitung „Hexenkessel“ für andere Gefangene. Die Redaktion entstand aus einer betreuten Schreibwerkstatt

Sie schreiben über die erste Nacht im Knast. Oder darüber, was Träume bedeuten und wie man sich den ersten Tag in Freiheit vorstellt. Sie verfassen Artikel über Arbeitsmöglichkeiten im Gefängnis, wichtige Gerichtsentscheidungen und darüber, was Neuinhaftierte wissen sollten. Zwei- bis dreimal im Jahr erscheint im Frauengefängnis in Lichtenberg der Hexenkessel. Ein Heft, das inhaftierte Frauen mit Hilfe der Initiatorin Brigitte Lindenau herausgeben und das von den Gefangenen mit Interesse gelesen wird.

„Die Zeitung schweißt die Leute richtig zusammen“, sagt Annett S., eine engagierte Schreiberin. Das hat seinen Grund: „Wir schreiben über das, was uns selbst interessiert“, sagt ihre Mitgefangene Kerstin M. (Namen geändert).

Annett ist 18 Jahre alt, sie stammt aus Berlin. Seit acht Monaten ist sie in der JVA. Sie nennt den Grund: „Versuchte Beihilfe zum Selbstmord“. Ein Jahr und sieben Monate bleibt sie noch in Haft. Kerstin ist etwas älter. Auch sie spricht mit Berliner Akzent, sie ist wegen Beschaffungskriminalität zu elf Monaten verurteilt. Im nächsten Hexenkessel wollen die beiden etwas über den Bunker schreiben. „Das ist ein besonders gesicherter Haftraum“, erklärt Kerstin. Sie selbst hat ihn noch nie von innen gesehen. „Da ist gar nichts drin, nur ein komisches Holzbett, ein Eisenklo und ein ganz kleines Waschbecken“, sagt Bärbel, die sich die Zelle aus Interesse angeschaut hat. Zum Anziehen bekomme man ein Papierhemd, zum Schlafen ein Papierlaken. Gedacht ist diese Zelle für Frauen, die sich oder andere gefährden, sagt Kerstin. Zur Zeit sei dort eine Frau, die ihre Zelle in Brand gesteckt habe.

Die Schreibwerkstatt des Frauengefängnisses hat auch einen Fragebogen entwickelt. Fragen über „körperliche Veränderungen“, ob es im Gefängnis echte Freundschaften geben kann oder wie sich das Leben durch den Knast verändert, stehen darin.

Brigitte Lindenau, pädagogische Beraterin eines Schulbuchverlags, leitet die Schreibwerkstatt seit gut zwei Jahren. Sie kommt ins Gefängnis, weil sie gern mit den Strafgefangenen arbeitet. „Die Beziehung zu den Frauen ist unkompliziert“, sagt Lindenau.

Anfangs schrieben die Frauen vor allem Geschichten und Gedichte. Dann entstand die Idee, regelmäßig ein Heft herauszugeben. Wenn die Werkstatt so weiterläuft, könnte daraus eine richtige Zeitung werden. „Die Anträge laufen“, sagt Lindenau. Wird das Projekt genehmigt, darf das Heft auch nach draußen. Dann könnten es auch die Männer im Gefängnis in Tegel lesen. Deren Zeitung Lichtblick lesen die Frauen bereits mit Interesse. EPD

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