Menschen im Sucher: „Das Ravensburg Projekt“

Seit vier Jahren lädt die Stadt Ravensburg Vertreter der künstlerisch dokumentarischen Fotografie ein, die hier das gültige Bild einer deutschen Kleinstadt im 21. Jahrhundert entdecken sollen. Der Stipendiat des Jahres 2004, der Hamburger Fotograf Peter Hendricks, reiste nun mit einer mächtigen Architekturkamera an, deren Negativ so groß ist wie sonst erst ein Abzug. In den Fußgängerzonen der Stadt und im Freibad Flappach postierte er seine Kamera so, dass er eine größere Ansammlung von Menschen in den Sucher bekam. Und so stellt man Hendricks nach Ansicht seines jetzt erschienenen Bildbands („Das Ravensburg Projekt“, Schaden Verlag, Köln 2004, 29,80 €) unwillkürlich in die Reihe mit Beat Streuli und Philip-Lorca diCorcia, den maßgeblichen Repräsentanten der gegenwärtigen Straßenfotografie. Beide belegten zuletzt, dass das Genre noch immer Raum für neue Bildfindungen bietet.

Zwar ist es einerseits so unabsehbar aktuell, wie es Kameras und Städte gibt, doch scheint es andererseits als Heldenweg der großen Fotografen von Atget bis Frank, Winogrand oder William Klein gefährlich determiniertes Terrain. Ähnlich wie diCorcia setzt Hendricks Methode gegen Tradition. Wo Ersterer Blitzlicht ins Spiel bringt, setzt Letzterer auf Montage. Die Aufnahmen sind Ausgangsmaterial. Im anschließenden Aufbereitungsprozess trennt Hendricks die Bilder auf, sortiert sie neu, repetiert Motive dabei gern noch einmal und schwenkt sogar ins Detail, indem er einzelne Ausschnitte vergrößert.

Er verlagert also den bildkompositorischen Teil des fotografischen Prozesses aus dem Apparat heraus in die Nachbearbeitung und verdeutlicht ihn radikal als Vorgang der Konstruktion, der Montage und Manipulation. Hier entsteht dann Hendricks großes Panorama vom gestischen Ausdruck der Passanten und ihrer Bewegungen im urbanen Raum. Die wiederkehrende Leerstelle zwischen den zusammengehörigen Bildtafeln ist Warburgsche Pathosformel: Wie der Faltenwurf in der antiken Kunst markiert sie jene körpergebundene Erfahrung, die sein Ravensburg-Projekt so anspruchsvoll dokumentiert.

BRIGITTE WERNEBURG

Ausstellung in der Städtischen Galerie Ravensburg: bis 12. 9.