„Das Öl fließt – mit oder ohne Yukos“

Während der russische Ölkonzern Yukos in Moskau auf Gerichtsvollzieher und Beschlagnahmungen wartet, bleiben seine Arbeiter in Sibirien überraschend ruhig. Sie hoffen auf neue Eigentümer und klagen über steigende Spritpreise

AUS NEFTEJUGANSK ZITA AFFENTRANGER

„Im Internet steht, wir sind bankrott“, sagt Natascha, eine junge Yukos-Mitarbeiterin in Neftejugansk, und lacht. Die Moskauer Gerichtsvollzieher wollen beim faktisch bankrotten Yukos-Konzern ausstehende Steuern in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar eintreiben. Doch sie scheinen weit weg von der Stadt Neftejugansk im Westen Sibiriens, wo Russlands größter Ölkonzern seine Hauptfördergebiete hat.

In der Stadtverwaltung betonte Pressesprecher Alexei Klimentow am Mittwoch das gute Auskommen mit „dem Konzern“, wie Yukos hier genannt wird. Grund zur Panik sieht er keinen: „Die Yukos-Affäre dauert nun seit einem Jahr an. Doch die Arbeiter haben immer ihren Lohn bekommen und das Öl fließt.“

Tatsächlich schert sich Neftejugansk, abgesehen von einem leisen Unbehagen, erstaunlich wenig um die drohende Zerschlagung ihres Konzerns. „Öl gab es hier schon immer, und das Öl wird auch weiter fließen – mit oder ohne Yukos“, erklärt Witali, seit dreißig Jahren Ölarbeiter in der Stadt. Über 100.000 Menschen leben hier. Dass die Produktion aus Geldmangel demnächst eingestellt werden könnte, wie Yukos nach der Blockierung seiner Konten letzte Woche gewarnt hat, hält er für einen reinen Schreckschuss der bedrängten Yukos-Führung: „Niemand wird den Befehl geben, die Produktion einzustellen. Das ist schlicht unmöglich“, ist sich Witali sicher.

Auch Natascha schreckt nicht sehr, dass die örtliche Yukos-Tochter Juganskneftegas bald zur Konkursmasse gehören könnte. „Kommt darauf an, wer uns kauft. Wenn es Gasprom oder Surgutneftegas wäre, wäre das nicht schlecht.“ Vom halbstaatlichen Gasmonopolisten oder dem in der Nachtbarstadt Surgut angesiedelten Ölkonzern des „roten Direktors“ Bogdanow würden sich die Menschen dort zwischen Sumpf und Wäldern Vorteile versprechen. In Surgut, das nur eine Autostunde entfernt ist, verdiene man zwei-, dreimal so viel wie in Neftejugansk, berichten junge Leute. „Das sind die Weißen und wir sind die Neger“, schimpft Natascha.

Die Löhne liegen in Neftejugansk mit 10.000 bis 15.000 Rubel (zwischen 300 und 450 Euro) zwar höher als im Landesdurchschnitt, doch sind die Lebenshaltungskosten in der ungastlichen Region, wo der Sommer manchmal gerade eine Woche und der Winter neun Monate, enorm hoch, weil alle Lebensmittel und Konsumgüter aus fernen Landesteilen herangeschafft werden müssen.

Und der boomende Ölpreis hilft Neftejugansk nicht, im Gegenteil. „Ich spüre, dass der Ölpreis steigt – aber nicht an meinem Lohn, der stagniert, oder sinkt sogar. Ich spüre es am wachsenden Benzinpreis“, erklärt der Ölarbeiter Witali. Die tiefen Ölpreise Ende der 90er-Jahre hatte Yukos dagegen an seine Arbeiter weitergegeben.

Damals wurden die Löhne in Neftejugansk mitunter monatelang nicht ausbezahlt. Es kam zu sozialen Protesten, einmal nahmen wütende Ölarbeiter sogar Teile des Yukos-Managements als Geiseln, um ihr Geld zu erzwingen. Heute sind manche überzeugt, Yukos habe die Krise absichtlich eskalieren lassen: Um die Arbeiter zu zwingen, die Aktien zu verkaufen, die sie im Zuge der Privatisierung ihres Betriebs bekommen hatten. Heute haben nur noch wenige in Neftejugansk Anteilsscheine an Yukos.

Der verhaftete Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowski gilt den Bewohnern der Yukos-Hauptstadt, wie Neftejugansk genannt wird, deshalb als schlauer Manager, aber auch als skrupelloser Absahner. „Es wurde langsam Zeit, dass er verhaftet wurde“, kommentiert Natascha. Jeder wisse schließlich, dass man ein Vermögen von rund 15 Milliarden Dollar in Russland nicht ehrlich erwerben könne. Doch freuen mag sich kaum jemand in Neftejugansk über Chodorkowskis Schicksal: „Ich weiß nicht warum, aber mir tut er Leid“, sagt eine junge Lehrerin. Und Schwierigkeiten für solch prominente Bürger wie den reichsten Mann Russlands bedeuten immer auch potenziellen Ärger für alle.

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