antisemitismus im urlaub
: Judenfreie Idyllen

Frank Bajohr hat ein wichtiges Buch über die Wurzeln des Antisemitismus geschrieben. „Unser Hotel ist judenfrei“ untersucht das gesellschaftliche Klima zur Jahrhundertwende in den Seebädern und Kurorten Deutschlands. Bajohr setzt sich gleich mehrere Ziele: Er will „Zugang zu den Dimensionen alltäglicher Judenfeindlichkeit“ bekommen und „diese Seite des Antisemitismus in die deutsch-jüdische Geschichte integrieren“. Schließlich möchte er auch die Frage klären, „wie und in welchem Umfang gesellschaftlicher Antisemitismus zur Ausgrenzung und Vertreibung der Juden nach 1933 und schließlich zur Ermordung von annähernd sechs Millionen europäischer Juden beigetragen hat“.

Der Blick auf die See- und Erholungsbäder ist dabei außerordentlich erhellend. Denn Antisemitismus entstand auch in den höheren Gesellschaftsschichten. Juden waren „einerseits wirtschaftlich überdurchschnittlich erfolgreich“ und wiesen „ein relativ hohes berufliches Qualifikationsprofil“ auf, waren „andererseits jedoch niemals vollständig in die deutsche Gesellschaft integriert“. So strebten Juden vor allem im Urlaub nach „sozialer Konsolidierung“.

Die Kehrseite dieser Urlaube: „Wer sich aufwändig in Szene setzte und seinen sozialen Status in der Öffentlichkeit markierte, betonte fast immer jene feinen Unterschiede, mit denen er sich von anderen Gästen zu unterscheiden suchte.“ So wurde den Juden von deutschen Kurgästen nachgesagt, sie seien protzig, gleichzeitig passten sie sich den deutschen Kurgästen so sehr an, dass diese mit Neid, Hass und Ressentiments reagierten. Wenn die Juden hingegen versuchten, sich unauffällig zu verhalten, wurde ihnen nachgesagt, sie seien katzbuckelig und unterwürfig.

Parallel zu dieser Entwicklung unterstützte ein zweites Phänomen die „Judenreinheit“ vieler deutscher Bäder: Während die alten, etablierten Bäder, wie Norderney oder Heringsdorf, vor allem auf ihre Tradition – mit vielen wohlhabenden und jüdischen Gästen – verwiesen, versuchten sich neue Bäder dagegen zu positionieren, um vom aufkommenden Tourismus wirtschaftlich zu profitieren. So warb das Nordseebad Borkum im Jahre 1903: „ländlicher Frieden und idyllische Einsamkeit“, die sich vom „übertriebenen Luxus und dem weltstädtischen Treiben“ in anderen Bädern unterscheide. Kurz: „Kein Luxusbad, judenfrei“, wie der Badeort Vitte auf Hiddensee in seinem Prospekt schrieb.

Frank Bajohr schaut auch auf Merkwürdigkeiten wie den „Winter-Antisemitismus“. Denn im Verlauf eines Jahres ließ sich ein besonderes Phänomen bei Kurverwaltung und Hotelbesitzern feststellen: „Im Frühjahr und im Sommer, wenn es gilt, die Fremden anzulocken, verhalten sich die Ritter vom Hakenkreuz ein wenig ruhig, und erst, wenn sie sehen, dass die Saison zuende geht und die Fremden genügend geschröpft sind, dann stimmen sie ihr ‚Juden hinaus‘- Geheul an und veranstalten gelegentlich eine Judenhatz, die mit panikartigem Verlassen der Sommerfrische ihr Ende nimmt.“ (Wiener Morgenzeitung, 1926) Wer mit dem Tourismus sein Geld verdiente, wusste also sehr wohl seinen Antisemitismus zu dosieren.

Frank Bajohr widmet sich größtenteils der gesellschaftlichen Ausgrenzung in der Urlaubszeit, einem bisher unbeleuchteten Teil des Lebens von Ende des 19. Jahrhunderts bis 1933. Der Urlaub ist ein spannendes Untersuchungsfeld, weil es dabei vor allem um Prestige und soziale Abgrenzung geht. Bajohr wertet Zeitungsartikel aus, zitiert aus Briefen von Antisemiten und solchen, die dem Treiben kritisch gegenüberstehen. Er sucht antisemitische Postkarten zusammen, die es in den „judenfreien“ Bädern zuhauf zu kaufen gab. Außerdem bietet er im Anhang des Buches eine Sammlung von antisemitischen Liedern und Gedichten aus deutschen Seebädern. Kurz: Bajohr zeichnet durch seine Recherche ein umfassendes Bild.

SUSANNE KLINGNER

Frank Bajohr: „Unser Hotel ist judenfrei“. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2004, 168 Seiten, 12,90 Euro