Urlaubs-Lesen
: Förmchen schlägt Proust

Im Grunde ist ja der Urlaub recht eigentlich der Hort aller Bildung. Ins Unendliche greifende Zeit, ins Unermessliche gedehnte Tatenlosigkeit breiten sich vor dem seit Monaten Planenden aus, unabhängig davon, ob er gen Nord oder Süd zu reisen gedenkt; was spielt Wetter für die wahre Leseratte schon für eine Rolle! Vielleicht ist es sogar besser, in die glühende Hitze zu reisen, damit man alsbald ein Alibi habe für die komplette Daheimbleibung während aufreibender Strandwanderung der restlichen Belegschaft. Andererseits: Auch polare Kälte eignete sich als Ausrede – und gar erst die endlosen skandinavischen Sommernächte, die nicht einmal Kunstlicht erfordern; bis Mitternacht und ab drei Uhr ist es noch und wieder hell im nördlichen Schweden!

Und was da nicht alles mitgeschleppt werden soll in etlichen, ziegelsteingleichen Koffern; Musil, mehrbändige Thomas-Mann-Briefwechsel sowie Prousts komplexes Gesamtwerk – selbstverständlich auf Französisch, wo bliebe sonst der Kick, hat man schon vor Wochen in der Bücherei bestellt, auch die Goethe- und Schiller-Kenntnisse wären endlich zu vervollständigen, auf dass man doch noch aufhole, was man so lange gar übelst versäumt. Ungut nur, dass man im Verlaufe des mitternächtlichen Packens – die Abreise ist selbstredend für den frühen Morgen geplant – so ganz und gar vergesslich ward, Sonnenhut, Förm- und Eimerchen gar zuerst einpackte, anstatt des europäischen Literaturkanons zu gedenken.

Und so endigt sich – sei es aus Gedankenlosigkeit, sei es infolge untergründiger Verdrängungsmechanismen – schließlich ungünstig, was in so hehrer Absicht begann: Als bedeutend zu schwer entpuppen sich schließlich die Hardcover-Bücher, zuletzt und zuoberst gepackt, und wenn man‘s recht bedenkt: Wer hätte ernsthaft derartige Gewichte schleppen wollen? Sich am End noch eine Muskelzerrung holen und letztlich physisch wieder zerstören, was man sich mental so eifrig angeeignet?

Und kaum, dass man‘s gedacht, reicht einem, wie von Wunderhand, ein Engel namens Mitreisender fünf, sechs eigens für diesen Zweck besorgte handliche Einmal-Krimis, die, nach der Lektüre wegzuwerfen, nicht einmal die Rückreise nennenswert belasten werden. Zwei Sonnenbrillen und ein Schweißtuch werden noch schnell dazugepackt, damit man gegen die mühselige Lektüre grellweißer Seiten im gleißenden Sonnenlicht gewappnet sei. Oder? Man wird doch nicht etwa heimlich dösen wollen hinter den tellergroßen Gläsern? PS