Zurück zur Latsch-Demonstration

Die strengen Auflagen beim „MusicDay“ am Großen Stern sollen künftige Demo-Organisatoren abschrecken. Das befürchten die Veranstalter. Der Versammlungsfreiheit drohen nun engere Grenzen

VON TOBIAS VON HEYMANN

Ob Musik nun wann, wie und an welchem Ort politisch ist, ist das eine: Der Künstlerprotest gegen die Musikmajors auf dem heutigen „MusicDay“ am Großen Stern hat die Frage erneut zum Streitthema gemacht. Hier findet heute ab 14 Uhr keine Demonstration, sondern nur eine Kundgebung statt. Wichtigste Auflage: 50 Prozent Reden, 50 Prozent Musik.

Doch weit schwerwiegender scheinen die Folgen für die Demonstrationsfreiheit insgesamt zu sein – mit bundesweiter Tragweite. Denn das Verhalten von Versammlungsbehörde und Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gegenüber den Anmeldern der Demo legt den Schluss nahe, dass gerade große politische Versammlungen künftig schon im Vorfeld auf eine Fülle von Knebel-Auflagen gefasst sein müssen. Vor allem, wenn sie neue Protestformen nutzen wollen.

So wird gewissermaßen über die Bühnen-Backstage des „MusicDay“ das Ziel bundesweit engerer Schranken für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Berlin schon mal eingeübt. „Dann hat man einen Präzedenzfall geschaffen, auf den sich andere Anmelder berufen können“, zitiert Anwältin Jacqueline Röber einen Mitarbeiter der Versammlungsbehörde, die den Musik-Protest noch bis gestern Nachmittag mit immer neuen Vorgaben regelrecht abwürgen wollte. Denn diese Versammlung sei für die Behörde ein „Grenzfall“ – und damit besonders kritisch zu durchleuchten.

Dabei hätten die zuständigen Staatsdiener klar zu verstehen gegeben, dass sie für die Zukunft deutlich klarere Rahmen abstecken wollen. Doch weniger, um ein „Verwässern“ des Demorechts zu verhindern, sondern eher um dadurch mehr Möglichkeiten gegen politische Unruhe neuen Typs in der Hand zu haben. Das betrifft im Kern die Fragen, wie eine Demo künftig ihre Kosten decken und auf welche Instrumente sie dabei buchstäblich zurückgreifen darf. Keine Frage, dass höhere Hürden zahlreiche Protestorganisierer in Zukunft abschrecken dürften – ein Zurück zur Latschdemo.

Bemerkenswert ist dabei, wie kaltschnäuzig sich die Versammlungsbehörde in den vergangenen Wochen über Absprachen hinweggesetzt hat, die das Oberverwaltungsgericht (OVG) zwischen dem Anmelder Kay Neumann und dem zuständigen Polizeipräsidium vermittelt und extra schriftlich fixiert hat. „Nachdem wir vorige Woche vor Gericht einen Kompromiss gefunden hatten, zogen wir unsere Beschwerde wie abgesprochen zurück. Das war die Bedingung, dass die Versammlungsbehörde dem neuen Konzept einer stationären Kundgebung an der Siegessäule zustimmt“, sagt Demo-Expertin Röber. „Doch nur eine Stunde nach der Rücknahme lief bei uns ein Fax der Behörde ein, in dem die Behörde den gerichtlich eindeutig vereinbarten Ablauf erneut untersagte. Ein beispielloser Vorgang“, empört sich Röber. Dass die Behörde auf Weisung des Innensenators gehandelt hat, hätten deren Vertreter selbst mehrfach bei Gesprächen eingeräumt. Auch hätten Beamte gesagt, dass sie das Verwaltungsgericht über ihre Haltung „informieren“ würden – das dann dem „MusicDay“ mit fast wortgleichen Argumenten den Demo-Status entzogen hatte. „Das war schon überraschend, wie das Verwaltungsgericht in kürzester Zeit einen knapp dutzend Seiten langen Ablehnungstext verfassen konnte“, bleibt Röber zurückhaltend. Dagegen sei das Amt den Organisatoren der „Fight the Power“-Demo am Ku’damm als eigentlichem Love-Parade-Ersatz bei der Anmeldung sehr auffällig entgegengekommen.

Anmelder Neumann will dieses Verhalten der Demo-Behörde nicht einfach so durchgehen lassen: „Hier hat Körting eindeutig mit zweierlei Maß gemessen. Mir scheint, dass besondere Beziehungen zwischen dem Senat und dem Großunternehmen Love Parade bestehen. Wir werden daher alle Mittel ausschöpfen, damit alle Vorgänge im Vorfeld des 10. Juli und mögliche rechtswidrige Praktiken restlos aufgedeckt werden. Der Innenausschuss muss Körting jetzt richtig in die Zange nehmen.“