Auch Euphorie braucht ihre Zeit

Dieter Schormann muss wieder einmal einen Umsatzrückgang verkünden, und Elke Heidenreich veranstaltet einen Leerlauf durch die Literaturgeschichte

Am vergangenen Dienstagabend sah man Dieter Schormann noch in den Zuschauerreihen des Kölner Kindertheaters sitzen und vergnügt den Auftritt von Elke Heidenreich und Michael Naumann beklatschen – ob mit oder ohne seinen obligaten roten Schal war allerdings auf die Schnelle nicht erkennbar. Zwei Tage später musste der Vorsteher des Börsenvereins dann selber ran und die neuesten, wieder einmal nicht so schwarzen Zahlen der Buchbranche verkünden.

Nach Schätzungen des Börsenvereins sank der Umsatz des Buchhandels im vergangenen Jahr um 1,7 Prozent auf 9,07 Milliarden Euro. Das ist zwar ein leicht schwächerer Umsatzrückgang als 2002, damals betrug er 2 Prozent, aber ein Zeichen dafür, dass von einer Entwarnung keine Rede sein kann. So wollte sich Schormann auch nicht wie sonst unverbesserlich optimistisch geben, sondern sprach davon, für das laufende Jahr nur noch „vorsichtig zuversichtlich“ zu sein und dass sich die Buchbranche nach drei Jahren sinkender Umsätze nur langsam erhole.

Es ist nun gewiss ein Zufall, dass Heidenreichs dieses Mal einstündige, wie üblich vorab aufgezeichnete Lieblingsbücher-„Lesen!“-Sendung und die Pressekonferenz des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zur Lage im Buch- und Verlagswesen genau in dieselbe Woche fielen. Doch dieser Zufall hat schon seine Symbolik: hier die Bestsellermacherin, die Frau mit der großen Strahlkraft; und dort eben jene Branche, die nicht richtig aus der Krise kommt, aber überaus froh ist über eine Lesen-und-kaufen-Animateurin wie Elke Heidenreich.

Allerdings geht Heidenreich jetzt in die Sommerpause und hinterließ lediglich die Hoffnung auf bessere Verkäufe in den Klassikerabteilungen: Ihre Sendung war ein einziges Rasen durch die Literaturgeschichte. „Moby Dick“, „Mann ohne Eigenschaften“, „Tausendundeine Nacht“, „Rot und Schwarz“, „Effi Briest“, das ging noch schneller als sonst zack, zack, zack!, und bis auf den Suhrkamp Verlag, dessen Namen nicht fiel (nur der seines Sublabels Insel), hatte jeder sich als seriös und literarisch wertvoll verstehende Verlag mindestens ein Buch im Rennen.

Nur hatte die Sendung ein Problem, das auch die Verlage und den Börsenverein etwas nervös machen dürfte: Sie war unwahrscheinlich langweilig. Es ist ja toll, wie unermüdlich Heidenreich die Werbetrommel rührt, wie euphorisierend sie auftritt. Doch auch eine Euphorie muss sich entwickeln und braucht gerade im Hinblick auf Bücher ihre Zeit. Genau diese Zeit hat Heidenreich aber nicht: ein Name, ein Titel, ein Zitat aus dem Buch, eine Einordnung (schön, wunderbar, toll, macht glücklich, macht nachdenklich) und fertig, nächstes Buch.

Da halfen nicht mal die vielen Prominenten, die in eingespielten Trailern ihre Lieblingsbücher vorstellten. Bei fast jedem von ihnen ertappte man sich dabei, wie man abschaltete, als sie anfingen, den Inhalt der Bücher vorzustellen. Das dauerte paradoxerweise viel zu lange. So entpuppt sich der Heidenreich-Furor als ein zähes Geschäft, und so erweisen sich langsam, aber sicher die Schnelligkeit und der Gebrauchsanweisungscharakter der Sendung als ihre Nachteile.

Interessant wäre es übrigens, wenn Anfang Oktober bei der großen Lesegala mit Johannes B. Kerner herauskäme, dass „unsere besten Bücher“ oder eben die Lieblingsbücher der Deutschen lauter Heinz G. Konsaliks, Uta Danellas oder „Jerry Cottons“ sind: Dann würde wohl selbst Elke Heidenreich eine Depression bekommen. Allerdings beeinträchtigt so ein Ergebnis den Gesamtumsatz des deutschen Buchhandels überhaupt nicht – dem Buchmarkt ist es schließlich egal, ob er nun mehr Goethes oder mehr Konsaliks umsetzt. GERRIT BARTELS