Wüstenjagd auf das Al-Qaida-Phantom

Algeriens Armee jagt Islamisten, Islamisten fliehen nach Tschad, Tschads Rebellen nehmen sie gefangen, Libyen will sie übernehmen, Deutschland sucht Touristenentführer von 2003: Der Krieg gegen „Terror“ in Nordafrika wird immer komplexer

von REINER WANDLER
und DOMINIC JOHNSON

Die Zeit der Aussöhnung ist in Algerien vorbei. „Die Ausrottung des Terrorismus ist wichtig, um den demokratischen Prozess und die Entwicklung unseres Landes voranzutreiben“, beteuert jetzt Präsident Abdelaziz Bouteflika. Vor fünf Jahren, als er sein Amt antrat, war er den bewaffneten Islamisten noch mit einem Amnestiegesetz entgegengekommen. Dieses Jahr dankte er anlässlich des 42. Jahrestages der Unabhängigkeit der Armee für ihre Arbeit bei der „Rettung der Republik“, während die Soldaten in Bergen und Wäldern nach den letzten radikalen Islamisten suchten – Überreste jener bewaffneten Gruppen, deren Krieg mit dem algerischen Staat in den 90er-Jahren über 100.000 Tote forderte.

Im Visier hat die Armee vor allem die „Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf“ (GSPC), die zum Al-Qaida-Netzwerk gehören soll und deren Stärke auf rund 400 Mann geschätzt wird. Den „Bewaffneten Islamischen Gruppen“ (GIA), von denen sich die GSPC 1998 abspaltete, sind hingegen die meisten Kämpfer weggelaufen, und die „Armee des Islamischen Heils“ (AIS), der bewaffnete Arm der Islamischen Heilsfront (FIS), die nach ihrem vom Militär annullierten Wahlsieg 1992 den Kampf aufnahm, legte im Jahr 2000 die Waffen nieder.

50 Kämpfer der GSPC sollen sich in den letzten Wochen ergeben haben, 40 verloren seit Anfang Juni bei den Kämpfen ihr Leben. Darunter befand sich am 20. Juni ihr Anführer Nabil Sahraoui alias Abu Ibrahim Mustafa. Er hatte im Herbst 2003 GSPC-Gründer Hassan Hattab von der Spitze verdrängt, weil der ihm zu lasch war. Sahraoui hatte sich bereits Mitte der 90er bei den GIA einen blutigen Ruf erworben. Er nahm als Erster Kämpfer aus dem Ausland auf – sie stammten aus Libyen und Tunesien und hatten ihr Kriegshandwerk bei al-Qaida in Afghanistan gelernt.

Als Führer der GSPC dehnte Sahraoui schließlich auch sein Operationsgebiet über Algeriens Grenzen aus. Die Salafisten sollen laut Geheimdiensten im Grenzgebiet zwischen Libyen und Tschad Trainingslager unterhalten. An Geld fehlt es nicht: Die GSPC hielt letztes Jahr 32 Saharatouristen als Geiseln, 16 davon kamen aus Deutschland. Die von Deutschland im vergangenen Sommer zur Freilassung der letzten in Mali festgehaltenen Geiseln gezahlten Lösegelder dürften mehrere Millionen Euro betragen haben.

Ein Teil der neuen GSPC-Kämpfer setzt sich aus jungen Nordafrikanern zusammen, die 2003 als Freiwillige in den Irakkrieg gegen die US-Truppen zogen. Der Norden des Tschad ist seit mehreren Jahren Operationsgebiet der tschadischen Rebellenbewegung MDJT (Bewegung für Demokratie und Gerechtigkeit im Tschad), die seit dem mysteriösen Tod ihres Gründers Togoimi bei einem Krankenhausaufenthalt in Libyen im September 2002 in drei Gruppen zerfallen ist. Mindestens eine von diesen hat sich an die GSPC angenähert – behaupten zumindest ihre Rivalen.

Doch selbst in der Sahara sind die Islamisten nicht mehr sicher. US-Militärs und US-Geheimdienstler kooperieren mit ihren Kollegen aus Algerien sowie Mauretanien, Mali, Niger und Tschad bei der Jagd auf die Untergrundkämpfer. Im März fiel schließlich der Organisator der Touristenentführung von 2003, Amara Saifi alias Abderrazek „Para“, in die Hände einer MDJT-Gruppe, als mehrere Dutzend GSPC-Islamisten bei einer tschadischen Militäroffensive ums Leben kamen und andere Zuflucht bei den MDJT-Rebellen im Tibesti-Gebirgsmassiv im Norden des Tschad suchten.

Algerien und Deutschland fordern Abderrazek Paras Auslieferung, aber diskrete Kontakte scheinen bisher wenig gebracht zu haben. Eine Schlüsselfigur bei den Verhandlungen war MDJT-Führungsmitglied Youssouf Barkai. Dieser starb am 21. Mai in Paris – nach Polizeiangaben soll er aus einem Fenster im siebten Stock eines Wohnhauses „gesprungen“ sein.

Geplant war, dass die tschadischen Rebellen ihre Gefangenen an Libyen überstellen, von wo aus „Para“ ausgeliefert werden könnte. Nach eigenen Angaben übergab die MDJT den libyschen Behörden am Montag zwei erste Häftlinge. Statt diese aber an ein Drittland weiterzugeben, erklärte Libyens Regierung, die beiden seien bei einem Schusswechsel an der Grenze getötet worden. Daraufhin weigerte sich die MDJT, Para auszuliefern. Am Donnerstag stellte Libyens Regierung der MDJT ein 48-Stunden-Ultimatum, den prominenten Gefangenen doch zu übergeben. Sonst werde Libyen ihn sich holen, mit militärischer Gewalt.

Währenddessen schlagen die Salafisten auch in Algerien weiter zu. So legte am Tag nach dem Tod von GSPC-Chef Sahraoui eine Explosion vorübergehend ein Kraftwerk bei Algier lahm. Es sei ein Unfall gewesen, wiegelte die Regierung ab, bis 100 Kilometer östlich ein zweites Kraftwerk ausfiel, nachdem zwei Hochspannungsmasten gekappt wurden. Die GSPC bekannte sich schließlich im Internet zu den Aktionen und drohte eine Offensive gegen „Ausländer und ausländische Interessen“ an. Und am Dienstag bestätigte Staatssicherheitschef Ali Tounsi, das Kraftwerk bei Algier sei mit einer Autobombe zerstört worden.