Moskau fürchtet Finanzkollaps

Seit Russlands größte Privatbank „Alfa Bank“ vor der Schließung steht, plündern die Einleger ihre Konten. Seit gestern funktionieren nun auch die Geldautomaten nicht mehr

MOSKAU taz ■ Schlangen vor geschlossenen Banken sind in Russland ein sicheres Zeichen für eine aufziehende Katastrophe – zu oft haben Menschen dabei bereits ihr Erspartes verloren. Innerhalb weniger Wochen mussten in Russland bereits drei Banken schließen: Angefangen mit der Sodbisnesbank im Mai bis hin zur mittelgroßen Guta-Bank diese Woche, zu deren Kunden die Fluggesellschaft Aeroflot und Fastfoodketten gehören.

Nun stehen die Menschen vor der Alfa-Bank Schlange, Russlands größter Privatbank. In ganz Moskau sind ihre Schalterhallen überfüllt; die Bank hat bereits eine Strafe von 10 Prozent für Kontoauflösungen eingeführt, um ihre Einlagen zu halten. Doch dies hat die Katastrophenstimmung weiter angeheizt. Weil die Menschen ihre Konten nun am Geldautomaten plünderten, gaben gestern viele dieser Maschinen bereits am frühen Morgen nur noch Piepstöne von sich, aber kein Geld. Und dies keineswegs nur bei der Alfa-Bank.

Dabei hat die aufziehende Panik kaum einen Grund. Die Bankschließungen der letzten Wochen lassen sich in keiner Weise mit dem Finanzcrash vergleichen, der Russland 1998 an den Rand des Staatsbankrotts brachte. Das Land steht heute wirtschaftlich weit besser da als damals. Die Banker sprechen deshalb primär von einer „Krise des Vertrauens“. Doch diese droht sich zu einer ernsten Bankenkrise auszuwachsen, wenn die Panik unter Russlands Geldanlegern weiter steigt. Experten gehen davon aus, die Alfa-Bank könne die Krise überstehen. Doch für rund 200 der schätzungsweise 1.670 russischen Banken könnte es eng werden.

Regierung und Zentralbank haben die Krise selber angeheizt. Der zwielichtigen Sodbisnesbank hatte die Zentralbank im Mai wegen Geldwäscherei die Lizenz entzogen. Anfang Juni brach die Intertrust-Bank zusammen, welche offenbar die gleichen Besitzer hat. Als dann Berichte auftauchten, die Zentralbank habe eine Liste mit fast 30 Banken, die geschlossen werden sollten, zogen Investoren 5 Milliarden Dollar aus Russlands Banken ab. Die Behörden schauten zu, bis die ständigen Versicherungen, dass es keine Bankenkrise gebe und auch keine „schwarze Liste“, die Nervosität nur weiter erhöhte.

Russlands Bankensektor hat sich in den letzten Jahren konsolidiert. Aber die Alfa-Bank hat private Spareinlagen von nur rund 1,1 Milliarden Dollar. Die neuerliche Krise dürfte die wenigen eines Schlechteren belehren, die glaubten, die Zeit sei in Russland reif, Geld auf der Bank aufzubewahren und nicht unter der Matratze. ZITA AFFENTRANGER