Fies und gut – vereint in einem Molekül

BERLIN taz ■ Würde das Ozon beim Psychiater auf der Couch liegen, der Doktor würde eine Psychose diagnostizieren – das Molekül mit dem Decknamen O3 hat nämlich eine gespaltene Persönlichkeit: Am Boden tritt es als unsichtbarer Schädling auf, reizt die Atemwege und lässt den Kopf schmerzen – in oberen Luftschichten dagegen spielt es den Retter und beschützt uns vor bösen UV-Strahlen.

Die chemischen Formeln des „schlechten“ und des „guten“ Ozons sind natürlich gleich. Bei der Entstehung gibt es aber wichtige Unterschiede, wie Paul Josef Crutzen vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie erklärt, der für seine Forschungen 1995 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde: In der Stratosphäre, etwa 20 Kilometer über der Erdoberfläche, spalten sehr kurzwellige UV-Strahlen Sauerstoffmoleküle. Jedes abgetrennte Sauerstoffatom vereinigt sich mit einem normalen Sauerstoff zu einem Ozonmolekül. Die so gebildete Ozonschicht ist ein lebenswichtiger Filter gegen das schädliche ultraviolette Licht der Sonne, das kurzfristig zu Sonnenbrand und langfristig zu Hautkrebs führen kann. Brom- und Chloratome, etwa aus Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW), greifen die Ozonschicht an. Die bekannteste Folge ist das gefürchtete Ozonloch.

Auch in der bodennahen Troposphäre wird das Ozon aus dem normalen Sauerstoff gebildet, doch die Reaktion ist nicht ganz so einfach: „Unter Einwirkung von Stickoxiden und mehr langwelligen Sonnenstrahlen wird Sauerstoff indirekt gespalten“, erklärt Crutzen. Und wieder entsteht ein Ozonmolekül.

Die Stickoxide, die an der Ozonbildung mitwirken, entweichen zum Beispiel Autoabgasen. Darum auch die Fahrverbote, die bis 1999 bei zu hohen Ozonwerten galten. Weil Katalysatoren die Stickoxide größtenteils zurückhalten, waren Autos mit Kat von den Fahrverboten ausgenommen. In Ballungsräumen ist der Straßenverkehr die dominierende Stickoxidquelle. Aber auch Kraftwerke und Industriefeuerungen emittieren erhebliche Mengen an Stickoxiden.

„Derzeit ist die Sonnenstrahlung sehr intensiv, das begünstigt die Bildung von bodennahem Ozon“, so Crutzen. Schuld an regional hohen Ozonwerten ist außerdem die stabile Wetterlage: Normalerweise trägt der Wind das Ozon in höhere Luftschichten. Doch wenn wie jetzt die Luft steht, bewegt sich auch das Ozon nicht vom Fleck. Einen kleinen Vorteil haben die hohen Ozonkonzentrationen aber: Sie bremsen die schädliche UVB-Strahlung. „Ein magerer Trost“, meint Crutzen.

Ozon wehrt nicht nur die gefährlichen ultravioletten Strahlen ab, sondern hat weitere positive Eigenschaften: In der Industrie wird es seit langem als Desinfektionsmittel eingesetzt, zum Beispiel bei der Aufbereitung von Trinkwasser, wo es Chlor ersetzen kann.            BERND MIKOSCH