WATCHING OBAMA (5): ROBERT HABECK SCHREIBT FÜR DIE TAZ NORD EIN TAGEBUCH AUS WASHINGTON
: Das Wunder Obama im Spiegel des Smalltalks

ROBERT HABECK, 39, ist Schriftsteller und Parteichef der Grünen in Schleswig-Holstein. Derzeit besucht er Washington auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung. FOTO: DPA

„Als ich hier vor drei Jahren hinging, da haben mich alle bedauert. Amerika war ein Schreckensbild. Jetzt würde jeder gern meinen Job haben – verrückt, wie sich das Bild und die Sympathie für ein Land so plötzlich ändert“, sagen die Journalisten, mit denen ich gesprochen habe. Dies ist der Zusammenschnitt vieler Gespräche, die ich in Washington geführt habe.

„Hat es sich denn plötzlich geändert? War die Zeit nicht einfach reif für einen neuen Politikansatz?“, frage ich. „In gewisser Weise schon. Ironisch kann man vielleicht sagen, dass nur, weil Bush so schlecht war, Obama siegen konnte. Das Bedürfnis nach etwas anderem war einfach radikal. Aber andererseits war dieses Bedürfnis noch vor zwei Jahren überhaupt nicht artikuliert. Vielleicht auch nicht bewusst. Es ist wohl schon eher so, dass es erst mit Obama zustande kam.“

„Er hat mal in einer Rede gesagt: ‚We are the people, we have been waiting for.‘ Selbsterfüllende Prophezeiungen?“

„Ich habe ihn und Hillary bei Wahlkampfveranstaltungen begleitet. Hillary hat die Details der Gesundheitsversicherung erläutert. Die Leute sind fast eingeschlafen. Obama hat den Geist der Gemeinschaft beschworen. Da wusste ich, dass er Präsident werden würde. Hillary hat die Basis einer neuen Politik nicht verstanden, nicht gesehen, dass es einen Generationswechsel in der Politik gibt. Damit meine ich nicht einfach ein anderes Alter. Ich meine einen anderen Angang, einen neuen Pragmatismus. Die letzten Jahre waren einfach ideologische Jahre. Und dieses Land ist ideologisch tief gespalten. Und jetzt kommt jemand, dem das ganze Hickhack egal ist, der die Dinge erledigt sehen will, der sich an seinen Taten messen lassen will.“

„Ist denn Pragmatismus das richtige Wort? Es riecht doch geradezu nach Vision und Idealismus?“

„Nimm den viel diskutierten Stimulus Plan. Die Kritik ist ja richtig, dass nicht alles, was da drin steht, unmittelbar der Wirtschaft nutzt. Er hat einen riesigen Bildungsanteil. Und Bildung wirkt nun mal eher nachhaltig. Und gerade das ist das Gute. Obama müsste diesen Kampf gar nicht führen, aber toll, dass er ihn führt!“

„Erleben wir hier eigentlich eine Verdrehung der politischen Begriffe? Die Konservativen sind radikal, wollen radikale Veränderungen, setzen auf ungebremsten Profit und die Liberalen und Progressiven kämpfen für den Bestand des Gemeinwesens, reden von Mäßigung und Werten und setzen sich für den Erhalt von Strukturen ein.“

„Ja, das ist interessant, nicht wahr. Im Grunde kann man sagen, dass die Demokraten die staatstragende Partei sind, während die Republikaner den Staat schleifen wollen.“

„Wenn man das auf Deutschland überträgt, können die emanzipatorischen, progressiven Kräfte dann etwas von Obama lernen?“ – „Was würdest Du denn sagen?“ – „Ich würde sagen, dass es ein Widerspruch ist, wenn man für gesellschaftliche Veränderungen eintritt, und man kein positives Verhältnis zu der Gesellschaft hat. Und das haben die linken Kräfte in Deutschland nicht. All’ die bürgerlichen Leitideen, Freiheit, Verantwortung, Leistung – die müsste man mit seinen eigenen Inhalten besetzen und nicht wortwörtlich ‚links‘ liegen lassen.“