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Mehr als meine Träume

Ein Dröhnen, als ob das Haus einstürzt: Die Ausstellung „Rohkunstbau“ im Dorf Groß-Leuthen befolgt alle Tugenden der Arbeiten vor Ort und lässt ein kleines Schloss zum großen Kunstereignis werden

VON ULRICH CLEWING

Der Ausblick von der Terrasse des kleinen Schlösschens ist umwerfend. Der See, die unverbauten Ufer, Schilf und der Wald dahinter strahlen eine Ruhe und Schönheit aus, die auch ein bisschen geheimnisvoll wirkt. So weit, so menschenleer, so irgendwie beseelt. Auf den See wird der Besucher noch oft schauen auf seinem Rundgang durch die Ausstellung in dem Haus in seinem Rücken. Immer dann nämlich, wenn die Kunst die Landschaft ins Innere holt und reflektiert – was zum Glück häufig vorkommt, wie überhaupt die Umgebung, die Geschichte der Region und die des Hauses eine besondere Rolle spielen, sei es als Ding oder auch nur als Gedanke.

Die elfte Ausgabe von „Rohkunstbau“ im Wasserschloss Leuthen ist ohne Übertreibung ein echtes Ereignis. Zwölf internationale KünstlerInnen haben die Kuratoren Arvid Boellert und Mark Gisbourne eingeladen, für schmales Geld Werke speziell für diesen Ort zu entwerfen oder zumindest neu zu arrangieren. Die Resultate sind im besten Sinne aufregend, inspirierend, profanes Material, das durch Vergeistigung und Durchdringung eine vielfache Steigerung von Bedeutung erfahren hat. Selten sieht man eine Ausstellung, in der die Kunst, die Gegenstände, das Gebäude so zusammenpassen, sich ineinander verzahnen und gegenseitig hochschaukeln, bis sie Regionen erreichen, in denen sonst nur die 1.-Klasse-Festivals zu Hause sind.

Natürlich sind die meisten der KünstlerInnen bekannte Größen, die entweder schon Teil der internationalen Kunstszene sind oder kurz davor stehen. Trotzdem ist es alles andere als selbstverständlich, dass sie gerade hier, an der Kante zum Spreewald, zu Höchstform auflaufen. Thomas Florschuetz etwa, einer der eigenständigsten Fotografen der Generation der um 1960 Geborenen: Der Raum, den er gestaltet hat, zählt zum Besten, was man seit langem von ihm gesehen hat. Einer Serie seiner verstörenden, fast abstrakten Körperbilder hängt ein großformatiges Foto gegenüber, auf dem man altes Eichenlaub in Nahsicht erkennt. Ein drittes Motiv gilt dem Idyll: ein Haus, ein Blumengarten. Schon sind auf der erzählerischen Ebene die vielfältigsten Verbindungen hergestellt zwischen dem Selbst, seiner Wahrnehmung und seinen Sehnsüchten.

Eine andere, die zeigen kann, was alles in ihr steckt, ist Cornelia Schleime, 51 Jahre alt, aus Berlin. Schon zu DDR-Zeiten war die multitalentierte Malerin, Musikerin, Filmemacherin, Performance-Künstlerin ihren männlichen Kollegen meist um eine Nasenlänge voraus. Nach ihrer Übersiedlung in den Westen dümpelte sie ungerechterweise geraume Zeit im hinteren Mittelfeld der öffentlichen Aufmerksamkeit. Doch so langsam sollte man sich mit der Idee anfreunden, dass Schleime auf die große Bühne gehört. Ihre Arbeit im Wasserschloss ist ein genialer Wurf: fünf Porträts, aus nächster Nähe gemalt, von halb schlafenden, halb wachen Kindern. Sie hängen in einem dunkel gestrichenen Zimmer, von dem darüber hinaus mit schwarzen Gazevorhängen vor den Fenstern und einem an die Wand geschriebenen, düsteren, den Tod beschwörenden Gedicht ein ungeheurer suggestiver und melancholischer Sog ausgeht.

So wie Schleime das ehemaligen Schlafgemach des Schlosses nutzt, das lange als Schlafzimmer für ein Kinderheim diente, das sich jetzt auf einen kleineren Flügel zurückgezogen hat, beziehen sich eigentlich alle KünstlerInnen auf Vorgefundenes, entweder auf bauliche Gegebenheiten oder auf Gegenwart, Vergangenheit und lokale Mythen des Dorfes. Der Gang durch die Ausstellung beginnt in der Empfangshalle, in der der junge, in Berlin lebende Österreicher Markus Huemer mittels Projektion eine Schar Vögel im Haus herum hüpfen lässt. Yinka Shonibare, Brite mit nigerianischen Vorfahren, und Lina Kim, Brasilianerin koreanischen Ursprungs präsentieren eine Figurengruppe beziehungsweise eine Installation, die beide die Assoziationen in viele verschiedene, im Kern jedoch eng miteinander verbundene Richtungen schicken: höfische Lebensart, Kolonialismus, das Korsett von Konventionen und der Austausch von Kultur, der manchmal schon verblüffende Wege nimmt.

Der konstruktiven Verstrickungen damit aber noch nicht genug: Im früheren Turnsaal des Kinderheims hat Miroslaw Balka ironisch einen monströsen, an Claes Oldenbourg erinnernden Seifenständer platziert, derweil die Seife draußen auf dem See vor sich hin schaukelt. Der chinesische Maler Chen Shaofeng hat den Bewohnern von Groß-Leuthen eine Ladung Konzeptkunst verpasst und sie zu Doppelporträt-Sitzungen animiert; die Israelin Yehudit Sasportas schuf am Computer artifizielle, dreidimensionale Reliefs von Wasserlandschaften.

Über alldem thront die Zeit, die unerbittlich vergeht: Daran erinnert João Penalva, Portugiese aus London, mit einem ergreifenden Bild. Er hat im Glockenturm des Schlosses eine Kamera angebracht, die den Lauf des Uhrwerks in Echtzeit in eines der Zimmer im ersten Stock überträgt. Da ist der Sekundentakt, der den Menschen schlägt, der jeden und jedes mit sich nimmt. Und dann ist da noch ein Zweites, nämlich zur Viertelstunde ein mächtiger Wumms, ein Dröhnen, dass man glaubt, das Haus stürzt ein. Und plötzlich wird einem klar: Hier, in Groß-Leuthen im Land Brandenburg, ist mehr möglich, als man sich je hätte träumen lassen.

Groß-Leuthen, Wasserschloss, bis 22. August. Näheres zum abwechslungsreichen Begleitprogramm unter www.rohkunstbau.de

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